Ein glücklicher Tag im Jahr 2381
Principessa wird es auch tun. Sie ist wie eine Tigerin. Eine Wilde. Ihr geradezu animalisches Temperament wird sein Wohlbefinden vielleicht wiederherstellen. Siegmund verhält vor Prinzipessas Tür. Es erscheint ihm als ein Relikt bourgeoisen Verhaltens, die aus der Zeit vor den Urbmons datiert, daß er ausgerechnet die Frau des Mannes aufsuchen muß, der jetzt mit seiner eigenen Frau zusammen ist. Nachtwandeln sollte eigentlich mehr zufällig sein, weniger absichtsvoll, ein Mittel, um die eigenen Lebenserfahrungen zu erweitern. Er öffnet die Tür. Erleichtert und bestürzt zugleich nimmt er ekstatische Geräusche von drinnen wahr. Zwei Personen befinden sich auf der Plattform: Er sieht Arme und Beine, die zu Prinzipessa gehören müssen, und ihr Körper wird von Jason Quevedo verdeckt, der grunzende Laute ausstößt und auf- und niedergeht. Siegmund wendet sich schnell wieder ab. Allein im Korridor. Und wohin jetzt? Heute nacht ist die Welt zu kompliziert für ihn. Das naheliegendste Ziel wäre Quevedos Apartment. Zu Micaela. Aber zweifellos wird auch sie einen Besucher haben. Seine Stirn wird heiß. Er will nicht endlos durch den Urbmon streifen. Er will nur seinen Schlaf finden. Das Nachtwandeln erscheint ihm plötzlich als ein Gräuel: aufgezwungen, unnatürlich, zur Pflicht gemacht. Die Sklaverei der absoluten Freiheit. Zu dieser Zeit streifen Tausende von Männern durch das gigantische Gebäude. Jeder mit der bestimmten Absicht, eine segensreiche Aufgabe zu erfüllen. Siegmund schlendert durch den Korridor und verhält bei einem Fenster. Eine mondlose Nacht. Der Himmel ist mit Sternen übersät. Die benachbarten Urbmons erscheinen weiter entfernt als sonst. Die Fenster sind hell erleuchtet, Tausende und aber Tausende von ihnen. Er überlegt sich, ob man vielleicht weit im Norden eine der Farmgemeinden sehen kann. Diese verrückten Farmer. Micaela Quevedos Bruder Michael, der zum Flippo wurde, hat vermutlich eine dieser Gemeinden besucht. So wird jedenfalls behauptet. Micaela ist über das Schicksal ihres Bruders noch immer nicht hinweggekommen. Er ging den Schacht hinunter, sowie er sich wieder im Urbmon sehen ließ. Aber natürlich kann man so einen Menschen nicht sein früheres Leben wiederaufnehmen lassen, als wäre nichts geschehen. Ein offensichtlich Unzufriedener, der das Gift seiner Unzufriedenheit hätte weiterverbreiten können. Für Micaela ist es jedoch eine harte Sache. Sie stand ihrem Bruder sehr nahe, sagt sie. Er war ihr Zwillingsbruder. Sie glaubt, daß man ihm in Louisville eine formale Anhörung hätte gewähren müssen. Sie würde es kaum glauben, aber das ist geschehen. Siegmund erinnert sich daran, wie die Papiere durchkamen. Nissim Shawke selbst gab den Entscheid heraus: Wenn dieser Mann jemals nach 116 zurückkehrt, sofort eliminieren. Arme Micaela. Vielleicht hat es da so eine ungesunde Sache zwischen ihr und ihrem Bruder gegeben. Ich könnte Jason fragen. Ich könnte.
Wohin gehe ich jetzt?
Er wird sich dessen bewußt, daß er schon seit mehr als einer Stunde vor dem Fenster steht. Er geht unsicher auf die Treppe zu und trottet die zehn Etagen bis zu seiner eigenen abwärts. Mattern und Mamelon schlafen Seite an Seite. Siegmund läßt seine Kleidung fallen und gesellt sich zu ihnen auf die Plattform. Auseinanderfallen. Auflösung. Endlich schläft auch er.
Der Trost der Religion. Siegmund besucht den Gottesmann. Die Kapelle befindet sich in der 770. Etage: ein kleiner Raum nahe einem Einkaufszentrum, mit vielerlei Fruchtbarkeitssymbolen verziert. Als er eintritt, fühlt er sich wie ein Eindringling. Noch nie hat er religiöse Impulse verspürt. Der Großvater seiner Mutter war ein Christianer, aber alle in der Familie schoben das nur auf überkommene Vorstellungen des alten Mannes. Die alten Religionen haben nur noch wenige Anhänger, und selbst der Gottes-Segen-Kult, der von Louisville offiziell unterstützt wird, kann nach den letzten Zahlen, die Siegmund gesehen hat, nicht mehr als ein Drittel der erwachsenen Bevölkerung für sich verbuchen. Obwohl sich die Dinge in letzter Zeit vielleicht etwas ändern.
»Gott segne«, sagt der Gottesmann, »welcher Schmerz führt dich zu mir?«
Er ist etwas dicklich, glatte Haut, ein rundes, zufriedenes Gesicht und fröhlich glänzende Augen. Mindestens vierzig Jahre alt. Was weiß er von seelischen Schmerzen?
»Ich habe keinen Ort mehr, an den ich gehöre«, sagt Siegmund. »Meine Zukunft schwindet dahin. Ich bin nicht mehr an die
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