Ein glücklicher Tag im Jahr 2381
empor, die sich von ganz unten bis zur 1000. Etage erstreckt. Er sieht empor und nimmt die sich bis zur Unendlichkeit dehnenden Ebenen des Urbmon 116 wahr, die durch strahlende Lichtbänder gekennzeichnet sind. Birmingham, San Franzisko, Colombo, Madrid. Er hält sich am Geländer fest und sieht nach unten. Seine Augen folgen den spiralförmigen Windungen der Treppe abwärts. Prag, Warschau, Reykjavik. Ihm wird schwindlig; dieser monströse Schacht, durch den das Licht von einer Million Lichtkugeln herabtanzt wie Schneeflocken. Er klettert verbissen die zahllosen Stufen empor. Seine eigenen mechanischen Bewegungen versetzen ihn in eine Art Trance. Bevor er sich dessen bewußt wird, hat er schon vierzig Etagen hinter sich gebracht. Schweiß klebt an seiner Haut, seine Muskeln schmerzen. Er stößt die Tür auf und taumelt in den Hauptkorridor hinein. Dies ist die 213. Ebene. Birmingham. Zwei Männer mit dem zufriedenen Ausdruck von Nachtwandlern, die auf dem Weg nach Hause sind, halten inne und bieten ihm irgendeine Droge an, eine kleine durchsichtige Kapsel, die eine ölige orangefarbene Flüssigkeit enthält. Siegmund nimmt wortlos an und schluckt die Kapsel hinunter, ohne zu fragen. Sie schlagen ihm kameradschaftlich auf die Schulter und gehen ihres Wegs. Fast sofort spürt er die Übelkeit, die ihn überkommt. Dann tanzen verschwommene rote und blaue Lichter vor seinen Augen. Er fragt sich verwundert, was sie ihm wohl gegeben haben. Er wartet auf die Ekstase. Er wartet. Er wartet.
Als nächstes nimmt er das blasse Licht der Dämmerung wahr, und er sitzt in einem Raum, den er nicht kennt, ausgestreckt in einem oszillierenden, leise klimpernden Metallnetz. Ein großer junger Mann mit langem goldenen Haar steht über ihm, und Siegmund kann hören, wie er selbst sagt: »Jetzt verstehe ich, warum sie zu Flippos werden. Eines Tages wird es einfach zuviel für dich. Die Leute, die richtig an deiner Haut kleben. Du kannst sie spüren. Und…«
»Nimm’s leicht. Immer langsam. Du hast zu schwer geladen.«
»Mein Kopf muß jeden Augenblick explodieren.« Siegmund sieht eine attraktive rothaarige Frau, die sich in der entfernten Ecke des Raums bewegt. Es fällt ihm schwer, seine Augen auf einen bestimmten Punkt auszurichten. »Ich weiß gar nicht so genau, wo ich eigentlich bin.«
»In der dreihundertsiebzigsten. Das ist San Franzisko. Du scheinst ja wirklich die Orientierung verloren zu haben.«
»Mein Kopf!« sagt Siegmund. »Fühlt sich an, als ob man ihn auspumpen müßte.«
»Ich bin Dillon Chrimes. Das ist Elektra, meine Frau. Sie hat dich gefunden, als du draußen durch die Korridore geirrt bist.« Sein Gastgeber lächelt ihm freundlich zu. »Was das Gebäude angeht«, sagt Chrimes, »vor ein paar Tagen habe ich einen Multiplexer genommen und bin selbst das ganze verdammte Gebäude geworden. Das war wirklich eine Schau. Verstehst du, ich habe es als einen riesigen Organismus gesehen, als ein Mosaik aus Tausenden von Seelen. Einfach schön. Bis ich wieder ‘runterkam, und dann habe ich es nur noch als einen Bienenstock gesehen, in dem wir alle eingeschlossen sind, aus dem es kein Entkommen gibt. Man verliert die richtige Perspektive, wenn man sein Bewußtsein mit Chemikalien durcheinanderbringt. Aber man gewinnt sie wieder.«
»Ich kann sie nicht mehr gewinnen.«
»Was nützt es denn, das Gebäude zu hassen? Ich meine, der Urbmon ist eine wirkliche Lösung wirklicher Probleme, oder nicht?«
»Ich weiß.«
»Und meistens funktioniert es auch bestens. Es kann dich also nur deine Fruchtbarkeit kosten, wenn du deine Zeit damit verschwendest, es zu hassen.«
»Ich hasse es nicht«, widerspricht Siegmund. »Ich habe die Theorie der Vertikalität in der urbanen Expansion immer bewundert. Urbane Verwaltung ist mein Spezialgebiet. War. Ist. Aber plötzlich ist alles falsch, und ich weiß nicht, wo der Fehler zu suchen ist. In mir oder im ganzen System? Vielleicht kommt das alles gar nicht so plötzlich.«
»Es gibt keine wirkliche Alternative zum Urbmon«, stellt Dillon Chrimes fest. »Ich meine, du kannst den Schacht hinunterspringen, nehme ich an, oder zu den Gemeinden davonlaufen, aber das sind keine vernünftigen Alternativen. Also bleiben wir hier. Und erfreuen uns des Reichtums, den wir haben. Du hast vermutlich zu hart gearbeitet. Hör mal, willst du was Kühles trinken?«
»Bitte, ja«, sagt Siegmund.
Die rothaarige Frau reicht ihm einen Becher. Während sie sich zu ihm herüberbeugt, schwingen ihre
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