Ein Gott der keiner war (German Edition)
sie weit über sämtliche menschlichen sozialen Interessen hinausführt. Die Gesellschaft kann ihnen vielleicht in lichtvolle Offenbarungen von dem universellen Wesen des Lebens folgen, die weit außerhalb der Beschäftigungen irgendeiner besonderen geschichtlichen Epoche und darüber hinaus liegen, und in diesem Sinne mag es zutreffen, daß die Gesellschaft von ihnen gehoben wird; doch ihre Erleuchtungen sind eben nicht nur die Projektion der sehnsüchtigen Gedankenregungen ihrer Gesellschaft.
Für mich sind die Glaubensbekenntnisse der Dichter heilige Offenbarungen, Wirklichkeitsdarstellungen vom Wesen des Lebens, die ich vielleicht nicht teile, die ich jedoch nicht wegdisputieren kann und will, indem ich sie als „soziale Phänomene" hinstelle. Wenn uns die Kunst etwas lehrt, so ist es dies, daß der Mensch nicht völlig in seiner Gesellschaft gefangen ist. Von der Kunst kann die Gesellschaft sogar vielleicht bis zu einem gewissen Grad lernen, wie sie ihrem eigenen Gefängnis entrinnen kann.
Wenn man nicht daran glaubt, daß die Kunst in gewissem Sinne die Mitteilung eines für den einzelnen Künstler einmaligen Erlebnisses ist, dann hält man die Kunst einfach für einen Ausdruck sozialer Bedürfnisse. Das bedeutet, daß politische Theoretiker in der Lage sind, den Dichtern und Künstlern zu diktieren, was die Gesellschaft von ihrer Kunst verlangt, da sie nicht die besten Beurteiler der Ideologie sind, die ein Ausdruck der Entwicklung der Gesellschaft ist. Dieses war, wie ich fand, die Einstellung der Kommunisten.
Ich erinnere mich gut an eine Versammlung, die in den Jahren nach 1930 von den Organisatoren des Group Theatre abgehalten wurde, uni ein Stück in Versen von mir, nämlich „Trial of a Judge", das aufgeführt worden war, zu diskutieren. Eine elegant gekleidete junge Kommunistin stand auf und protestierte gegen das Stück. Sie und ihre kommunistischen Genossen, sagte sie, seien tief enttäuscht. Sie hätten von diesem Stück erwartet, daß es eine Situation zeige, in der die Faschisten Kapitalisten seien, die Liberalen als schwache Leute auftreten und die Kommunisten recht behielten, was sie sehr gut wüßten. Anstatt dessen zeige es eine Neigung, mit dem liberalen Gesichtspunkt zu sympathisieren. Darüber hinaus gäbe es in dem letzten Akt sogar noch ein Element der Mystik. Heute aber, sagte sie, sind es weder Liberalismus noch Mystik, die wir von unseren Autoren verlangen, sondern kämpferischer Kommunismus. Und so weiter.
Ihr Gesichtspunkt war genau der gleiche wie der Harry Pollitts, der mir jedesmal, wenn er mir begegnete, zu sagen pflegte: „Warum schreiben Sie keine Lieder für die Arbeiter, wie Byron, Shelley und Wordsworth es taten?" Eine Frage, die sich nicht beantworten läßt – es sei denn, ich wünschte die englischen romantischen Dichter nach ihrem Tode in Unehre zu bringen. Es mag so aussehen, als ob das junge Mädchen und Harry Pollitt grobe Beispiele sind; aber Stalin würde ein noch gröberes, aber wirkungsvolleres Beispiel sein. Manchmal wird eine Menge Grobheit auch mit einer gewissen Schläue vorgebracht. Zum Beispiel verteidigte im Jahre 1947 in der Tschechoslowakei der russische Professor für Russisch an einer der großen Universitäten, der selber Kommunist und ein Mann von Intelligenz und Charme ist, den Angriff des Schriftstellerverbandes der Sowjetunion auf Pasternak, Sostschenko und andere mit der Begründung, daß Rußland keine guten Schriftsteller brauche. „Natürlich sind diese Leute unsere besten Schriftsteller", sagte er, „aber wir können es uns nicht leisten, gute Schriftsteller zu haben. Unsere besten Dichter schreiben Gedichte, die das Volk deprimieren, weil sie ein selbstmörderisches Gefühl von der Zwecklosigkeit des Lebens zum Ausdruck bringen. Aber wir wollen, daß die Menschen arbeiten, wie sie noch nie zuvor gearbeitet haben, daher können wir den Schriftstellern nicht erlauben zu sagen, daß sie unglücklich sind."
Doch inmitten all dieser Verrücktheit lassen sie mich nicht den Blick auf das Hauptziel vergessen. Vielleicht lassen sich Gewalttat, Konzentrationslager, die Pervertierung der Wissenschaften und Künste rechtfertigen, wenn diese Methoden am Ende das Ergebnis haben, daß sie die klassenlose Gesellschaft schaffen. Dieses ist das Argument, das ich immer im Kopf hatte, ein Argument, das ein solches Gewicht hat, das, wenn es zuträfe, Einwände gegen einen Kommunismus, der wirklich imstande wäre, eine gerechte internationale
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