Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
soundso, Wohnungsnummer soundso. Und ging. Oletschka machte sich auf den Weg, noch am selben Tag, und dann, dann war sie zwei Stunden später wieder da, in einem hysterischen Anfall, mit Krämpfen. Später erzählte sie: ›Ich frage den Hausmeister: ‘Wo ist die Wohnung Nummer so undso?’ Der Hausmeister sagt, indem er mich mustert: ‘Und was haben Sie in dieser Wohnung zu suchen?’ Es klang so eigenartig, daß man hätte aufhorchen müssen.‹ Aber meine Olja war herrisch und ungeduldig; sie konnte zudringliche Fragen und Grobheiten nicht ausstehen. ›Dann gehen Sie rauf‹, sagte er, deutete mit dem Finger auf die Treppe, drehte sich um und verschwand in seiner Kammer. Und was glauben Sie? Olja kommt herein, fragt, und von allen Seiten stürzen Frauen auf sie zu: ›Bitte schön! Bitte schön!‹ – Lauter Frauen, geschminkte üble Weiber, klimpern auf dem Klavier und zerren sie hinein; ›ich wollte nur wieder heraus, aber sie ließen mich nicht.‹ Da verlor sie allen Mut, die Beine trugen sie nicht mehr, aber die lassen sie nicht heraus, halten sie fest, reden ihr freundlich zu, machen Portweinflaschen auf, schenken ein, nötigen sie. Da springt sie wieder auf, zittert und schreit, so laut sie kann: ›Lassen Sie mich los, lassen Sie mich los!‹ Sie stürzt zur Tür, die hielten die Tür zu, sie ruft um Hilfe, da springt die von vorhin, die bei uns gewesen war, auf sie zu, schlägt meine Olja zweimal auf die Backe und stößt sie zur Tür hinaus: ›Du bist es nicht wert‹, sagt sie, ›du Luder, in ein so vornehmes Haus zu kommen.‹ Und eine andere schreit ihr im Treppenhaus nach: ›Du bist von selbst hergelaufen, um uns anzubetteln, weil du nichts zu fressen hast, aber wir haben keine Lust, deine Visage auch nur eines Blickes zu würdigen!‹ Die ganze Nacht hat sie gefiebert, phantasierte, und am Morgen steht sie auf und läuft mit funkelnden Augen auf und ab: ›Ich bring sie vors Gericht, vors Gericht!‹ sagt sie. Ich schweige: ‘Und was wirst du vor Gericht erreichen?’ denke ich. ‘Was kannst du vor Gericht beweisen?’ Und sie läuft immerzu auf und ab, ringt die Hände, weint unaufhörlich, aber die Lippen bleiben fest geschlossen und reglos. Und ihr ganzes Gesicht wurde gleichsam dunkel, von diesem Augenblick an, bis zu ihrem Ende. Am dritten Tag besserte sich ihr Zustand, sie verstummte, als hätte sie sich beruhigt. An diesem Tag, um vier Uhr nachmittags, sprach Herr Werssilow bei uns vor.
Und jetzt will ich es ganz offen sagen: Ich kann bis heute nicht begreifen, warum Olja, die sonst mißtrauisch war, ihm damals fast vom ersten Wort an zuhörte. Am meisten hat uns beiden damals gefallen, daß er so ernst aussah, streng sogar, daß er ruhig sprach, ausführlich und immer höflich – was sage ich, höflich, sogar ehrerbietig –, indessen merkte man ihm keinerlei Absicht an: Es war an allem zu sehen, daß dieser Mensch lauteren Herzens gekommen war. ›Ich habe‹, sagt er, ›Ihre Annonce in der Zeitung gelesen. Sie haben, gnädiges Fräulein, sie nicht ganz richtig aufgesetzt, dergestalt, daß Sie sich damit sogar schaden könnten.‹ Dann begann er, es zu erklären, und ich muß ehrlich zugeben, daß ich es nicht mitbekommen habe, irgend etwas über Arithmetik, aber da sehe ich, daß meine Olja errötet und sich gleichsam belebt, daß sie zuhört und sich auf ein Gespräch mit ihm einläßt (er muß auch ein sehr kluger Mann sein!), und dann höre ich, daß sie sich bei ihm sogar bedankt. Er fragte sie aus, ausführlich, man merkte, daß er lange in Moskau gelebt hatte und daß er, wie sich herausstellte, sogar die Frau Direktorin des Gymnasiums persönlich kannte. ›Schüler‹, sagte er, ›werde ich ganz bestimmt für Sie finden, weil ich hier viele Bekannte habe und auch viele einflußreiche Menschen Ihretwegen ansprechen kann, so daß, selbst wenn Sie eine feste Beschäftigung wünschten, dies gute Aussichten hat … Einstweilen möchte ich mich mit einer direkten Frage an Sie wenden: Darf ich Ihnen jetzt auf irgendeine Weise behilflich sein? Sie würden mir und nicht ich Ihnen ein Vergnügen bereiten, wenn Sie mir gestatteten, Ihnen einen Dienst zu erweisen, welchen auch immer. Sie mögen dies meinetwegen als eine Schuld betrachten‹, sagte er, ›die Sie, sobald Sie eine Stelle haben, in Kürze erstatten könnten. Und ich würde, mein Ehrenwort darauf, später, sollte ich je in eine solche Notlage geraten wie Sie jetzt, während Sie, im Gegenteil, bestens versorgt
Weitere Kostenlose Bücher