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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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will – dann nicht. Wenn Sie ihn aber verklagen, werden Sie es unter Umständen teuer bezahlen müssen, schließen Sie Frieden, das wäre am günstigsten.‹ Und dann scherzte er aus dem Evangelium: ›Wahrlich‹, sagte er, ›du wirst nicht von dannen herauskommen, bis du auf den letzten Heller bezahlest‹, verabschiedet sich und lacht. Und meine fünfzehn Rubel sind verloren! Ich komme zu Olja zurück, wir sitzen einander gegenüber, und ich weine. Sie weint nicht, sitzt so stolz da und hadert. Schon immer, seit ich sie kenne, ist sie so gewesen, schon als kleines Mädchen, niemals hat sie geseufzt, niemals hat sie geweint, immer saß sie da und guckte finster vor sich hin, so daß es mir sogar unheimlich wurde. Und ob Sie es mir glauben oder nicht: Ich hatte Angst vor ihr, richtig Angst, schon lange hatte ich Angst vor ihr; manches Mal wollten mir die Tränen kommen, aber in ihrer Gegenwart traute ich mich nicht, mich auszuweinen. Ich ging zum letzten Mal zu dem Kaufmann, dort konnte ich wenigstens nach Herzenslust weinen: ›Schon recht‹, sagte er und hörte nicht einmal zu. Inzwischen, muß ich Ihnen gestehen, saßen wir schon lange ohne eine Kopeke da, weil wir nicht auf so lange Zeit gefaßt waren: Also mußte ich nach und nach unsere Kleider versetzen: Von dem, was wir versetzten, lebten wir. Alles, was wir hatten, mußten wir versetzen, und als sie mir ihre letzten Wäschestücke gab, da flossen mir die bitteren Tränen. Und schon stampfte sie auf, fuhr in ihre Kleider und rannte selbst zu dem Kaufmann. Und der ist Witwer; der unterhielt sich mit ihr: ›Kommen Sie‹, sagte er, ›übermorgen um fünf, vielleicht werde ich Ihnen dann etwas sagen.‹ Sie kommt zurück und ist ganz heiter: ›Also‹, sagt sie ›vielleicht wird er mir etwas sagen.‹ Natürlich, auch ich freute mich, aber um mein Herz legte sich etwas wie Eis: Was wird das geben, denke ich, traue mich aber nicht, es auszusprechen. Am übernächsten Tag kommt sie vom Kaufmann zurück, kreidebleich, am ganzen Leibe zitternd, läßt sich aufs Bett fallen – da habe ich alles verstanden und traute mich nicht, sie zu fragen. Und was glauben Sie: Er kommt, dieser Räuber, mit fünfzehn Rubeln, ›und wenn ich‹, sagt er, ›die volle Unschuld vorfinde, werde ich weitere vierzig Rubel springen lassen‹. Das sagt er ihr ins Gesicht, ohne alle Scham. Da stürzte sie sich auf ihn, erzählte sie mir, er stieß sie zurück und schloß sich im anderen Zimmer sogar vor ihr ein. Inzwischen hatten wir, ich gestehe es auf Ehr und Gewissen, fast nichts mehr zu essen. Da gingen wir mit der Weste auf den Markt, sie war mit Hasenfell gefüttert; wir haben sie verkauft, und sie ging zur Zeitung, sie wollte die Annonce aufgeben: Sie gibt Stunden in allen Wissenschaften und auch für Arithmetik: ›Wenigstens dreißig Kopeken‹, sagte sie, ›wird man mir zahlen.‹ Da, meine Liebe, packte mich bei ihrem Anblick sogar pures Entsetzen: Kein Wort redet sie mit mir, sitzt stundenlang am Fenster, starrt das Hausdach gegenüber an und ruft plötzlich aus: ›Wenigstens Wäsche waschen, wenigstens Erde umgraben!‹ Einen einzigen solchen Satz schreit sie heraus und stampft mit dem Fuß. Und wir haben hier keinen einzigen Bekannten, haben keinen Menschen, den wir aufsuchen könnten. ‘Was wird aus uns werden?’ denke ich. Aber mit ihr zu sprechen, traute ich mich nicht. Einmal war sie tagsüber eingeschlafen, dann wieder aufgewacht, hatte die Augen aufgeschlagen und mich angesehen; und ich sitze auf der Truhe und sehe sie auch an; sie steht schweigend auf, kommt auf mich zu, umarmt mich fest, ganz fest, und dann hielten wir es beide nicht mehr aus und weinten, wir sitzen da und weinen und halten uns fest umschlungen. Zum ersten Mal in ihrem ganzen Leben war sie so. Also wir sitzen so, da kommt Ihre Nastassja herein und meldet: ›Irgend so eine Dame fragt nach Euch. Die will zu Euch.‹ Das war erst vor vier Tagen. Die Dame kommt herein: Wir sehen, sie ist sehr gut gekleidet, spricht russisch, aber die Aussprache ist irgendwie deutsch: ›Sie haben‹, sagt sie, ›die Annonce aufgegeben, daß Sie Stunden geben?‹ Da haben wir uns so über sie gefreut, haben ihr Platz angeboten, und sie lacht uns so freundlich an: ›Nicht für mich‹, sagt sie, ›sondern für meine Nichte, die hat kleine Kinder; wenn es Ihnen recht ist, bemühen Sie sich bitte zu uns. Dann können wir einig werden.‹ Sie gab uns die Adresse, an der Wosnessenskij-Brücke, Haus Nummer

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