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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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wären, stehenden Fußes zu Ihnen eilen und Sie um eine kleine Hilfe angehen oder meine Frau und Tochter zu Ihnen schicken …‹ Das heißt, ich kann Ihnen nicht alle seine Worte wiederholen, mir kamen die Tränen, als ich sah, daß auch Olja vor Dankbarkeit die Lippen zitterten: ›Wenn ich es annehme‹, antwortete sie ihm, ›dann nur, weil ich einem ehrenhaften und humanen Menschen vertraue, der mein Vater sein könnte …‹ Das hat sie ihm ganz wunderbar gesagt, so kurz und so vornehm: ›Einem humanen‹, hat sie gesagt, ›Menschen.‹ Er erhob sich sofort: ›Unbedingt, unbedingt werde ich Ihnen Schüler und eine Stelle beschaffen; ich werde mich heute noch damit beschäftigen, weil Sie ein dazu berechtigendes Zeugnis haben …‹ Ich habe nämlich vergessen zu sagen, daß er sich gleich am Anfang, gleich nachdem er gekommen war, alle ihre Dokumente aus dem Gymnasium, die sie ihm vorlegte, angesehen und sie in einigen Fächern selbst examiniert hatte … ›Mama, er hat mich doch in allen Fächern examiniert‹, erzählte mir Olja später, ›und wie klug er ist! Wie selten hat man Gelegenheit, sich mit einem so vielseitig gebildeten Mann zu unterhalten …‹ Und dabei strahlte sie nur so! Das Geld, sechzig Rubel, liegt auf dem Tisch. ›Nehmen Sie es an sich, Mama‹, sagt sie, ›wenn ich eine Stelle bekomme, werden wir es ihm als erstes erstatten und beweisen, daß wir ehrliche Menschen sind, und daß wir Feingefühl haben, hat er bereits selbst gemerkt.‹ Dann schwieg sie eine Weile, und ich sehe, daß sie eigentümlich atmet: ›Wissen Sie, Mama‹, sagt sie plötzlich, ›wenn wir ungehobelte Menschen wären, dann hätten wir vielleicht aus Stolz nichts von ihm genommen, aber daß wir es jetzt angenommen haben – dadurch haben wir ihm nur unser Feingefühl bewiesen, bewiesen, daß wir ihm uneingeschränkt vertrauen, dem ehrbaren, ergrauten Herrn, nicht wahr?‹ Ich habe sie anfangs nicht so recht verstanden und sage: ›Warum, Olja, sollte man von einem vornehmen und wohlhabenden Menschen nicht eine Wohltat annehmen, wenn er auch noch ein gutes Herz hat?‹ Darauf sah sie mich finster an: ›Nein, Mama‹, sagt sie, ›darum geht es nicht, es geht nicht um eine Wohltat, sondern um seine ‘Humanität’, die uns teuer ist. Und was das Geld angeht, so wäre es besser gewesen, wenn wir es überhaupt nicht angenommen hätten: Wenn er schon versprochen hat, mir eine Stelle zu vermitteln, so ist das schon genug … Auch, wenn wir Not leiden.‹ – ›Ach, Olja‹, sage ich, ›unsere Not ist so groß, daß es unmöglich ist, darauf zu verzichten‹, ich mußte sogar lächeln. Also, ich freute mich im stillen, aber schon nach einer Stunde bohrt sie weiter: ›Mama‹, sagt sie, ›geben Sie dieses Geld vorläufig noch nicht aus.‹ Und das sagte sie ganz und gar entschieden. ›Wieso denn?‹ frage ich. ›Einfach so‹, antwortet sie und verstummt. Den ganzen Abend hat sie geschwiegen; aber als ich nachts, um die zweite Stunde nach Mitternacht, aufwachte, da hörte ich, daß Olja sich in ihrem Bett herumwälzte: ›Schlafen Sie, Mama?‹ – ›Nein‹, sage ich, ›ich schlafe nicht.‹ – ›Wissen Sie‹, sagt sie, ›daß der mich doch beleidigen wollte?‹ – ›Wo denkst du hin, wo denkst du hin!‹ sage ich. ›Bestimmt‹, sagt sie, ›so ist es, er ist ein niederträchtiger Mensch. Unterstehen Sie sich, auch nur eine einzige Kopeke von seinem Geld auszugeben.‹ Ich redete ihr gut zu, mir kamen sogar die Tränen in meinem Bett – sie drehte sich zur Wand: ›Schweigen Sie‹, sagt sie, ›lassen Sie mich schlafen!‹ Am nächsten Morgen sehe ich sie an, sie läuft auf und ab und sieht sich selber nicht ähnlich; ob Ihr mir glaubt oder nicht, ich sage es wie vor Gottes Thron: Damals schon war sie nicht mehr bei Verstand! Seitdem man sie in diesem gemeinen Haus beleidigte … hat sich ihr Herz getrübt … und auch der Kopf. Ich sehe sie also an jenem Morgen an und weiß mir nicht mehr zu helfen; es ist mir angst und bange; ich darf ihr, denke ich, mit keinem Wort widersprechen. ›Mama, er hat uns doch‹, sagt sie, ›seine Adresse nicht gegeben.‹ – ›Du darfst dich nicht versündigen, Olja‹, sage ich, ›du selbst hast ihm gestern zugehört, du selbst hast ihn darauf gerühmt, du selbst warst vor lauter Dankbarkeit den Tränen nahe.‹ Kaum hatte ich das ausgesprochen, da kreischte sie und stampfte mit dem Fuß: ›Eine niedrige Seele haben Sie‹, sagt sie, ›als

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