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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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verfeindet war. Endlich ist es soweit, endlich habe ich diesen Namen niedergeschrieben! Ich hatte sie selbstverständlich noch nie gesehen und war auch außerstande, mir ein Gespräch mit ihr vorzustellen, falls eines stattfinden würde; aber ich stellte mir vor (vielleicht mit einer gewissen Berechtigung), daß mit ihrem Kommen auch das Dunkel, das in meinen Augen Werssilow umhüllte, sich endgültig lichten würde. Ich konnte unmöglich gelassen bleiben: Es war furchtbar ärgerlich, daß ich mich schon beim ersten Schritt so kleinmütig und ungeschickt anstellte; es war furchtbar spannend und vor allem widerwärtig – dreierlei Empfindungen auf einmal. An diesen ganzen Tag erinnere ich mich mit allen Einzelheiten!
    Von der voraussichtlichen Rückkehr seiner Tochter aus Moskau war mein Fürst noch nicht unterrichtet, er erwartete sie frühestens in einer Woche. Ich aber hatte davon ganz zufällig gehört: Tatjana Pawlowna, die von der Generalin einen Brief erhalten hatte, erzählte es meiner Mutter in meiner Gegenwart. Sie flüsterten zwar nur und drückten sich verschlüsselt aus, aber ich bin sofort dahintergekommen. Selbstverständlich hatte ich sie nicht mit Absicht belauscht: Aber es war mir unmöglich, nicht hinzuhören, als ich sah, daß meine Mutter plötzlich, bei der Nachricht von der Ankunft dieser Frau, sich so sehr erregte. Werssilow war außer Hause.
    Dem alten Herrn wollte ich es nicht weitersagen, denn ich konnte in dieser ganzen Zeit unmöglich übersehen, daß ihm vor ihrem Kommen angst und bange war. Er hatte sich sogar vor drei Tagen richtig verplappert, wenn auch nur zaghaft und verklausuliert, daß er sich um meinetwillen Sorgen mache, das heißt, daß ihn um meinetwillen ein Donnerwetter erwarte. Ich muß allerdings hinzufügen, daß er in Familienangelegenheiten immerhin eine gewisse Unabhängigkeit und Selbständigkeit bewahrte, insbesondere in finanzieller Hinsicht. Ich hatte zunächst, nach dem ersten Eindruck, entschieden, daß er ein Schlappier sei; aber in der Folge mußte ich umentscheiden in dem Sinne, daß er, selbst wenn er ein Schlappier wäre, immer noch und zwar immer wieder eine Art Hartnäckigkeit, wenn nicht sogar echten Mut bewies. Es kam immer wieder vor, daß man gegen seinen Charakter – sichtlich feige und nachgiebig, wie er war – fast nicht ankommen konnte. Später hat mir Werssilow dies ausführlich erklärt. An dieser Stelle möchte ich den merkwürdigen Umstand erwähnen, daß wir beide fast nie auf die Generalin zu sprechen kamen, das heißt, ein solches Gespräch gleichsam vermieden: Ich vermied es ausdrücklich, und er seinerseits vermied, Werssilow auch nur zu erwähnen, woraus ich mit Bestimmtheit schließen konnte, daß ich auf eine der prekären, für mich brennenden Fragen keine Antwort erhalten würde.
    Wenn jemand wissen möchte, worüber wir uns während dieses ganzen Monats unterhielten, könnte ich antworten, daß es dabei um alles in der Welt ging, aber vorwiegend um eigentümliche Gegenstände. Die ungewöhnliche Offenherzigkeit seines Umgangs mit mir gefiel mir über alles. Hin und wieder betrachtete ich diesen Menschen mit größter Verblüffung und fragte mich: “Wo hat er eigentlich früher konferiert? Er hätte genau in unser Gymnasium gepaßt, aber höchstens in die vierte Klasse – er wäre der richtige Kamerad gewesen.” Ich wunderte mich ebenfalls immer wieder über sein Gesicht: Es war sehr würdig (und fast schön), schmal; dichtes, ergrautes, lockiges Haar; offener Blick; die ganze Erscheinung schlank und gut gewachsen; aber sein Gesichtsausdruck zeigte die irgendwie störende, beinahe anstößige Neigung, sich plötzlich aus einem auffallend ernsten in einen übertrieben vergnügten zu verwandeln, so daß es für jemand, der ihm zum ersten Mal entgegentrat, völlig verblüffend war. Ich habe mit Werssilow darüber gesprochen, der mir interessiert zuhörte; ich glaube, er hatte nicht erwartet, daß ich zu solchen Beobachtungen fähig war, bemerkte aber nebenbei, daß dieses Phänomen erst nach der Erkrankung des Fürsten und erst in der allerletzten Zeit aufgetreten sei.
    Wir unterhielten uns vornehmlich über zwei Abstracta – über Gott und seine Existenz, das heißt, ob es Gott gebe oder nicht, und über Frauen. Der Fürst war sehr religiös und gefühlvoll. In seinem Kabinett hing ein riesiger Ikonenschrein mit dem Ewigen Licht. Aber plötzlich überkam es ihn – plötzlich begann er, an Gottes Existenz zu zweifeln und

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