Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Lebemänner mögen daran ihre Freude haben und mit hängender Zunge hinterherlaufen, aber es gibt eine unberührte Jugend, und die muß bewahrt werden. Es bleibt einem nichts als auszuspucken. Da geht so eine über den Boulevard, zieht eine Schleppe von einundeinhalb Arschin hinter sich her und wirbelt den Staub auf; wie soll man sich helfen, wenn man hinter ihr geht: entweder sie überholen oder mit einem Satz zur Seite springen, sonst stopft sie einem mit fünf Pfund Sand Mund und Nase voll. Außerdem ist es auch noch Seide, die sie drei Werst über das Pflaster schleift, nur weil es so Mode ist, der Gatte aber verdient im Senat fünfhundert Rubel jährlich: Das ist die Ursache der allgemeinen Bestechlichkeit! Ich habe jedesmal vor mich hin ausgespuckt, laut ausgespuckt und geschimpft.«
Wenn ich diese Unterhaltung mit einigem Humor, für die damalige Situation charakteristisch, schildere, so denke ich heute doch nicht anders.
»Und das ist dir gut bekommen?« fragte der Fürst interessiert.
»Ich spucke aus und gehe meines Weges. Natürlich merkt sie das, tut aber so, als sei nichts gewesen, zieht majestätisch weiter, ohne den Kopf zu wenden. Gestritten, in vollem Ernst, habe ich nur ein einziges Mal, gleich mit zweien auf einmal, beide mit Schleppen, mitten auf dem Boulevard, selbstverständlich ohne Kraftausdrücke, ich habe nur laut vor mich hin gesagt, daß Schwänze ein Ärgernis sind.«
»So hast du dich ausgedrückt?«
»Klar. Erstens verletzt sie die öffentliche Ordnung, und zweitens wirbelt sie Staub auf; der Boulevard aber steht allen offen: Ich gehe, ein zweiter geht, ein dritter, Fjodor, Iwan, ganz gleich wer. Genau das habe ich zum Ausdruck gebracht. Und überhaupt kann ich den weiblichen Gang nicht leiden, zumal von hinten gesehen; auch das habe ich geäußert, aber nur andeutungsweise.«
»Mein Freund, das hätte eine ernste Geschichte für dich werden können; die beiden hätten dich zum Friedensrichter schleppen können.«
»Gar nichts hätten sie können. Sie hätten keinen Anlaß, sich zu beklagen: Ein Mensch geht vorbei und spricht mit sich selbst. Jeder Mensch hat das Recht, seine Überzeugungen in die Luft hinauszusprechen. Ich habe mich ganz allgemein geäußert, ohne mich an sie zu wenden. Sie haben selbst angefangen: Auf einmal schimpften sie los, sie schimpften viel anzüglicher als ich: Milchbart! Gehört ohne Essen ins Bett! Nihilist! Ein Schutzmann muß her! Ein Feigling, der sie nur deshalb angepöbelt hat, weil sie allein und schwache Frauen sind; vor einer Herrenbegleitung würde so einer sofort das Weite suchen … Ich ließ sie seelenruhig wissen, ich wünsche, in Ruhe gelassen zu werden und die Straßenseite zu wechseln. Und um ihnen zu beweisen, daß ich mich vor ihrer Herrenbegleitung nicht fürchte und eine Forderung annehme, würde ich ihnen in zwanzig Schritt Abstand bis zu ihrem Hause folgen, mich vor diesem Hause aufpflanzen und ihre Männer erwarten. Gesagt, getan.«
»Ist das möglich?«
»Natürlich war das eine Dummheit, aber ich war echauffiert. Ich mußte ihnen mehr als drei Werst weit folgen, bei Hitze, bis zu den Instituten, wo sie in einem einstöckigen Holzhaus verschwanden, einem zugegebenermaßen höchst ansehnlichen Haus – hinter den Fenstern sah man viele Blumen, zwei Kanarienvögel, drei Köter und gerahmte Kupferstiche. Ich blieb eine gute halbe Stunde vor diesem Hause mitten auf der Straße stehen. Sie spähten dreimal nach mir heraus und ließen dann die Rouleaus herunter. Endlich trat aus dem Gartentor ein älterer Beamter; seinem Aussehen nach hatte man ihn eigens dazu aus tiefem Schlaf geweckt; er trug nicht gerade einen Schlafrock, war aber doch recht lässig gekleidet; er blieb vor dem Gartentor stehen, legte die Hände auf den Rücken und fixierte mich, und ich – ihn. Bald wandte er den Blick ab, bald sah er mich wieder an, und plötzlich begann er mir zuzulächeln. Ich drehte mich auf dem Absatz um und ging.«
»Aber, mein Freund, das ist ja wie bei Schiller! Ich habe mich schon immer gewundert: Du hast rote Backen, du strotzt vor Gesundheit und dann – und dann diese Abneigung gegen die Frauen! Wie ist es möglich, daß die Frau auf dich, in deinem Alter, nicht den üblichen Eindruck macht? Mir, mon cher, hat der Hauslehrer Vorhaltungen gemacht, als ich schon mit elf Jahren zu lange vor den Figuren im Sommergarten verweilte.«
»Sie möchten wohl am liebsten, daß ich einer der hiesigen Josephinen einen Besuch abstatte und
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