Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Ihnen anschließend davon berichte? Das wäre überflüssig; ich habe auch schon mit dreizehn eine entblößte Frau gesehen, von Kopf bis Fuß; und seitdem spüre ich nichts als Abscheu.«
»Aber, cher enfant, eine schöne frische Frau duftet nach Äpfeln, wie kann da von Abscheu die Rede sein!«
»Ich hatte in meiner elenden kleinen Pension, bei Touchard, noch vor dem Gymnasium, einen Kameraden, Lambert . Er prügelte mich ständig, denn er war über drei Jahre älter als ich. Ich mußte ihn bedienen und ihm die Stiefel ausziehen. Als er konfirmiert wurde, besuchte ihn ein Abbé Rigaud, um ihm zum Ersten Abendmahl zu gratulieren, beide fielen sich weinend in die Arme, und der Abbé Rigaud drückte ihn immer wieder fest an die Brust, mit lauter großen Gesten. Mir kamen ebenfalls die Tränen, und ich war sehr neidisch. Nach dem Tod seines Vaters verließ er die Pension, und ich habe ihn zwei Jahre lang nicht wiedergesehen. Aber nach zwei Jahren begegnete ich ihm auf der Straße. Er sagte, er würde mich besuchen. Damals war ich schon auf dem Gymnasium und wohnte bei Nikolaj Semjonowitsch. Er kam vormittags, zeigte mir einen Fünfhundert-Rubel-Schein und befahl mir mitzukommen. Obwohl er mich vor zwei Jahren immer wieder verprügelt hatte, war er stets auf mich angewiesen gewesen, nicht bloß der Stiefel wegen; er hat mir alles anvertraut. Er sagte, daß er den Geldschein heute aus der Schatulle seiner Mutter entwendet habe, mit Hilfe eines Nachschlüssels, weil das ganze Geld seines Vaters ihm gehöre, dem Gesetz nach, und sie kein Recht habe, ihm dieses Geld vorzuenthalten, und daß gestern abend Abbé Rigaud bei ihm erschienen sei, um ihm ins Gewissen zu reden – er sei eingetreten, habe sich vor ihm aufgepflanzt, geflennt, Entsetzen gemimt und die Hände gen Himmel erhoben, ›ich aber zog das Messer und sagte, ich würde ihn umbringen‹ (er hatte einen Sprachfehler, und es klang: › umb’hingen ‹). Wir fuhren zum Kusnetzkij. Unterwegs teilte er mir mit, daß seine Mutter es mit dem Abbé Rigaud habe, daß er ihnen auf die Schliche gekommen, daß ihm alles egal und daß alles, was sie über das Abendmahl redeten, reiner Quatsch sei. Er hat noch lange geredet, und ich hatte Angst. Auf dem Kusnetzkij kaufte er ein doppelläufiges Gewehr, eine Jagdtasche, fertige Patronen, eine Reitpeitsche und dann ein Pfund Bonbons. Wir fuhren zur Stadt hinaus, um zu schießen, und begegneten unterwegs einem Vogelfänger mit seinen Käfigen; Lambert kaufte bei ihm einen Kanarienvogel. In einem Wäldchen ließ er den Kanarienvogel frei, da er nach dem Käfig nicht davonfliegen konnte, und schoß nach ihm, mehrmals, aber ohne ihn zu treffen. Er schoß zum ersten Mal im Leben, ein Gewehr hatte er sich aber schon lange gewünscht, schon bei Touchard, wir hatten schon lange von einem Gewehr geträumt. Es war, als hätte die Aufregung ihm den Atem verschlagen. Sein Haar war tiefschwarz, sein Gesicht weiß und mit roten Wangen, wie bei einer Maske, die Nase lang, mit einem Höcker wie bei den Franzosen, die Zähne weiß, die Augen schwarz. Mit einem Faden band er den Kanarienvogel an einen Ast und feuerte aus einem Werschok Entfernung zwei Salven aus beiden Läufen auf ihn ab, und der Vogel zerstob in hundert Federchen. Dann kehrten wir zurück, stiegen in einem Hotel ab, bezogen ein Zimmer, tafelten und tranken Champagner. Und dann erschien eine Dame … Ich war überrascht über die Pracht ihres Kleides, ich weiß es noch, es war aus grüner Seide, und dann habe ich alles gesehen … wovon ich gesprochen habe … Und dann, als wir weitertranken, begann er, sie zu necken und zu beschimpfen; sie saß da und hatte kein Kleid an; er hatte ihr das Kleid weggenommen, und als sie zu schimpfen begann und ihr Kleid zurückverlangte, um sich anzuziehen, peitschte er sie mit der Reitgerte mit aller Kraft auf die nackten Schultern. Ich erhob mich, packte ihn bei den Haaren, und zwar so geschickt, daß ich ihn mit einem Ruck auf den Boden warf. Er packte seinerseits eine Gabel und stieß sie mir in den Schenkel. Auf unser Geschrei hin kamen Leute gelaufen, und mir gelang es zu entkommen. Seit dieser Zeit kann ich mich nur mit Ekel an Nacktheit erinnern; glauben Sie mir, sie war eine Schönheit.«
Während ich erzählte, veränderte sich die Miene des Fürsten aus einer vergnügten in eine tieftraurige.
» Mon pauvre enfant , ich war schon immer überzeugt, daß du in deiner Kindheit sehr viele unglückliche Tage erlebt
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