Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
selbst gesagt, und Tatjana Pawlowna zur Sicherheit bestellt.«
»Aber, mein Gott, was war das für ein Streich! Hören Sie, sie hat zugelassen, daß ich alles vor einer dritten Person, vor Tatjana Pawlowna, ausgesprochen habe; die hat also alles mitgehört, was ich damals gesagt habe! Das … das ist so schrecklich, das ist unvorstellbar!«
» C’est selon, mon cher . Und außerdem hast du gerade selbst von der Notwendigkeit gesprochen, den Frauen gegenüber weitherzig zu sein, und hast ausgerufen: ›Es lebe die Großzügigkeit!‹«
»Wenn ich Othello wäre und Sie Jago, dann hätten Sie nicht besser … übrigens, ich muß lachen! In diesem Fall kann von einem Othello nicht die Rede sein, weil die Voraussetzungen fehlen. Und wie sollte man da nicht lachen! Meinetwegen! Ich glaube dennoch an etwas, was mich unendlich überragt, und gebe mein Ideal nicht auf. Sollte das ein Scherz ihrerseits gewesen sein, so verzeihe ich ihr. Ein Scherz mit einem kläglichen grünen Jungen – das ist erlaubt. Ich habe mich ja auch nie aufgespielt, aber der ›Student‹ – der ›Student‹ war trotzdem da und ist dageblieben, trotz allem, er war in ihrer Seele, in ihrem Herzen, dort ist er, und dort wird er bleiben! Genug! Hören Sie, was denken Sie: Soll ich auf der Stelle zu ihr fahren und die ganze Wahrheit ans Licht bringen oder nicht?«
Ich hatte gesagt, ich müßte lachen, aber meine Augen waren voller Tränen.
»Warum nicht? Fahr hin, mein Freund, wenn du willst.«
»Mir ist, als hätte ich meine Seele besudelt, weil ich Ihnen das alles erzählt habe. Nehmen Sie es mir nicht übel, aber über eine Frau, ich muß es wiederholen, über eine Frau darf man mit einer dritten Person nicht sprechen; auch ein Konfident würde es nicht begreifen. Selbst ein Engel würde es nicht begreifen. Wenn du eine Frau achtest – suche keinen Konfidenten. Wenn du dich selbst achtest – suche keinen Konfidenten! Jetzt habe ich die Achtung vor mir selbst verloren. Auf Wiedersehen; das werde ich mir nie verzeihen …«
»Genug, mein Lieber, du übertreibst. Du sagst doch selbst, daß ›nichts gewesen‹ ist.«
Wir hatten inzwischen den Kanal erreicht und waren im Begriff, uns zu verabschieden.
»Soll ich denn nie von dir einen Kuß bekommen, einen innigen kindlichen Kuß, wie ein Vater von seinem Sohn?« sagte er zu mir mit einer sonderbar zitternden Stimme. Ich küßte ihn heiß.
»Mein Lieber … Bleibe immer so reinen Herzens wie jetzt.«
Noch nie im Leben hatte ich ihn geküßt, noch nie hatte ich mir vorstellen können, daß er sich das wünschen könnte.
Sechstes Kapitel
I
“Selbstverständlich, fahren!” Ich war schon fest entschlossen, als ich nach Hause eilte. “Und zwar sofort fahren. Sehr wahrscheinlich, daß ich sie allein zu Hause antreffe; allein oder mit einem Besuch – ganz gleich: Man würde sie herausrufen. Sie wird mich empfangen; sich wundern, aber empfangen. Empfängt sie mich nicht, werde ich darauf bestehen, daß sie mich empfängt, ich werde ihr sagen lassen, daß es äußerst dringend ist. Sie wird glauben, es ginge um das Dokument, und wird mich empfangen. Und ich werde alles über Tatjana Pawlowna erfahren. Und dann … und was dann? Sollte ich im Unrecht sein, werde ich alles wiedergutmachen, aber sollte ich recht haben und sie schuldig sein, dann ist es doch das Ende! In jedem Fall – das Ende von allem! Und was verliere ich? Ich verliere nichts. Also fahren! Fahren!”
Und nun, das werde ich nie vergessen und immer voll Stolz daran denken – ich bin nicht gefahren! Niemand wird es wissen, es wird mit mir sterben, aber es genügt, daß ich es weiß und daß ich in einem solchen Augenblick einer edlen Regung fähig war! “Es ist eine Versuchung, aber ich werde ungerührt vorübergehen”, hatte ich nach langem Abwägen beschlossen, “man hat mir durch ein Faktum einen Schrecken einjagen wollen, aber ich habe nichts geglaubt und den Glauben an ihre Reinheit nicht verloren! Und wozu soll ich fahren, wonach mich erkundigen? Warum hat sie unbedingt an mich glauben sollen, ebenso wie ich an sie, an meine ‘Reinheit’, sich nicht vor meiner ‘Entflammbarkeit’ fürchten und nicht zu Tatjana Zuflucht nehmen sollen? Das habe ich in ihren Augen noch nicht verdient. Mag, mag sie nicht wissen, daß ich es wohl verdiene, daß ich keiner ‘Versuchung’ erliege und daß ich den bösen Verleumdungen ihrer Person keinen Glauben schenke: Dafür weiß ich es selbst und werde mich selbst darum
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