Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
fragte ich hastig.
»Natürlich sollte ich auch in diesem Fall ein fremdes Geheimnis wahren … Wir führen eine besondere Unterhaltung, Arkadij Makarowitsch, viel zu geheimnisvoll«, er lächelte abermals. »Andrej Petrowitsch hat mich allerdings nicht um Geheimhaltung gebeten. Sie aber sind sein Sohn, und da mir Ihre Gefühle für ihn bekannt sind, glaube ich mich diesmal sogar berechtigt, Sie zu warnen. Stellen Sie sich vor, er erschien bei mir mit der Frage, ›sollte sich in den nächsten Tagen, sehr bald, für ihn die Notwendigkeit eines Duells ergeben, würde ich dann bereit sein, die Rolle seines Sekundanten zu übernehmen?‹ Selbstverständlich habe ich kategorisch abgelehnt.«
Mein Erstaunen war uferlos; diese Neuigkeit war alarmierender als alle anderen: Etwas war geschehen, etwas hatte sich ereignet, etwas mußte eingetroffen sein – wovon ich noch keine Ahnung hatte! Und plötzlich tauchte die flüchtige Erinnerung auf, wie Werssilow mir gestern gesagt hatte: »Ich werde nicht zu dir kommen, aber du wirst zu mir gerannt kommen.« Ich flog zu dem Fürsten Nikolaj Iwanowitsch, in der zunehmenden Gewißheit, daß dort die Lösung des Rätsels auf mich wartete. Wassin dankte mir beim Abschied wiederholt.
II
Der alte Fürst saß am Kamin, über seine Beine war ein Plaid ausgebreitet. Er empfing mich mit einem eigentümlich fragenden Blick, als wunderte er sich über mein Erscheinen, indessen hatte er fast täglich nach mir verlangt. Er begrüßte mich übrigens freundlich, aber meine ersten Fragen beantwortete er irgendwie mißmutig und furchtbar zerstreut. Immer wieder schien er zu überlegen, und dann musterte er mich aufmerksam, als hätte er etwas vergessen und versuchte nun, sich an etwas zu erinnern, was fraglos mit mir zu tun hatte. Ich sagte ihm unumwunden, daß mir schon alles bekannt sei und daß es mich freue. Ein freundliches und gütiges Lächeln erschien sofort auf seinen Lippen, und er belebte sich sichtlich; Zurückhaltung und Mißtrauen waren mit einem Schlag verflogen, er schien sie vergessen zu haben. Und er hatte sie in der Tat vergessen.
»Du bist mein lieber Freund, ich wußte ja, daß du als erster kommen würdest, und habe erst gestern an dich gedacht: ›Wer wird sich darüber freuen? Er wird sich darüber freuen.‹ Nun ja, sonst gibt es niemand, aber das macht nichts. Menschen haben böse Zungen, aber das ist belanglos … Cher enfant, das ist alles so erhaben und so entzückend … Aber du kennst sie ja selbst gut genug. Anna Andrejewna hat von dir sogar eine hohe Meinung. Sie ist, sie ist – sie ist ein strenges und reizendes Gesicht, ein Gesicht aus einem englischen Kupferstich, dem reizendsten englischen Stich, den man sich nur vorstellen kann … Im vorletzten Jahr besaß ich eine ganze Sammlung solcher Stiche … Ich habe schon immer, immer diese Absicht gehegt, schon immer; und ich muß mich nur wundern, daß ich noch nie darauf gekommen bin.«
»Sie haben, wie ich weiß, Anna Andrejewna schon immer sehr gern gehabt und sie ausgezeichnet.«
»Mein Freund, wir wollen keinem etwas Böses tun. Das Leben mit Freunden, Verwandten, mit allen, die unserem Herzen nahestehen – das ist ja das Paradies. Alle – alle sind Poeten … Kurz, das weiß man ja schon aus prähistorischen Zeiten. Weißt du, wir wollen im Sommer zuerst nach Bad Soden und dann nach Bad Gastein. Aber du bist lange nicht hiergewesen, was hattest du nur, mein Freund? Ich habe auf dich gewartet, und wieviel, nicht wahr, wieviel ist seitdem geschehen! Es ist nur schade, daß ich unruhig bin; sobald ich allein bin, werde ich unruhig. Deshalb darf ich nicht allein bleiben, nicht wahr? Das ist doch wie zweimal zwei. Ich habe sofort verstanden, schon nach ihren ersten Worten. Oh, mein Freund, sie hat nur zwei Worte gesagt, aber das … das war wie das wunderbarste Gedicht. Übrigens, du bist doch ihr Bruder, fast ihr Bruder? Mein Lieber, daran muß es gelegen haben, daß ich dich so ins Herz geschlossen habe! Ich schwöre, daß ich das alles vorausgeahnt habe. Ich küßte ihr Händchen und weinte.«
Er zog sein Taschentuch heraus, als schickte er sich an, wieder zu weinen. Er war stark erschüttert und befand sich, wie es schien, in einem seiner schlimmsten »Zustände«, die ich in der ganzen Zeit unserer Bekanntschaft erlebt hatte. Meistens, sogar fast immer, war er unvergleichlich frischer und wacher gewesen.
»Ich möchte allen vergeben, mein Freund«, lallte er, »ich möchte allen vergeben,
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