Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
nicht lange zu grübeln, um zu erkennen, daß ich vor allem deshalb zufrieden war, weil ich »heute im Hause des Fürsten Nikolaj Iwanowitsch« sein werde. Aber dieser Tag war in meinem Leben unvorhersehbar schicksalhaft und begann schon mit einer Überraschung.
Punkt zehn flog meine Tür jäh auf, und ins Zimmer stürzte – Tatjana Pawlowna. Alles hätte ich erwartet, nur nicht ihr Erscheinen bei mir, bestürzt und voll Angst sprang ich auf. Sie sah wütend drein, bewegte sich unbeherrscht und hätte auf die Frage: Warum bricht sie bei mir herein? selbst keine Antwort gewußt. Ich sage vorab: Sie hatte soeben eine außerordentliche, niederschmetternde Nachricht erhalten und stand noch unter ihrem allerersten Eindruck. Diese Nachricht tangierte auch mich. Übrigens blieb sie nur eine halbe Minute bei mir, höchstens eine ganze, aber bestimmt nicht länger. Sie krallte sich förmlich an mich.
»So bist du also!« Sie stand vor mir mit vorgebeugtem Oberkörper, wie sprungbereit. »Dieser Grünschnabel! Was hast du angerichtet? Oder weißt du das etwa nicht? Ha, der trinkt seinen Kaffee! Ach, du Klatschmaul! Du Windmühle! Du Papierkavalier! Solche wie du müssen Ruten kriegen, Ruten, Ruten!«
»Tatjana Pawlowna, was ist geschehen? Ist etwas passiert? Mama? …«
»Das wirst du schon merken!« rief sie drohend, rannte aus dem Zimmer und war verschwunden. Ich wäre ihr natürlich gern nachgelaufen, aber ein Gedanke hielt mich zurück, eigentlich kein Gedanke, sondern eine dunkle Unruhe: Ich ahnte, daß der »Papierkavalier« das wichtigste Wort ihrer herausgeschrienen Schmähungen gewesen war. Es war mir klar, daß ich mit meinen Vermutungen nicht weiterkommen würde, und ich machte mich sofort auf den Weg, um so schnell wie möglich Stjebelkow aufzusuchen und dann zum alten Fürsten Nikolaj Iwanowitsch zu eilen. “Dort ist der Schlüssel zu allem!” sagte mir mein Instinkt. Es war erstaunlich, aber Stjebelkow war schon über Anna Andrejewna unterrichtet, und zwar mit allen Einzelheiten; ich verzichte auf die Beschreibung unserer Unterhaltung und seiner Gesten, aber er war begeistert, er war vor Begeisterung außer sich über den »artistischen Coup«.
»Ist das … ist das eine Person, wenn’s beliebt! Nein, ist das eine Person!« rief er immer wieder aus. »Nein, die ist etwas anderes als wir; wir sitzen nur herum und kommen zu nichts, die aber hat Lust, Wasser aus der echten Quelle zu trinken – und geht einfach hin und trinkt. Das ist … das ist eine antike Statue! Das ist – die antike Statue Minervas, wenn’s beliebt, nur, daß sie herumgeht und moderne Kleider trägt!«
Ich bat ihn, zur Sache zu kommen; die Sache war, wie ich richtig geraten hatte, nur die, daß ich dem Fürsten zureden und ihn überzeugen sollte, den alten Fürsten Nikolaj Iwanowitsch aufzusuchen und ihn um entscheidende Hilfe zu bitten. »Sonst kann es ihm sehr, sehr übel ergehen, und das steht nicht mehr in meiner Macht; stimmt’s oder nicht?«
Er las mir immer wieder in den Augen, hat aber, wie ich glaube, doch nicht vermutet, daß ich inzwischen etwas mehr als am Vortage erfahren hätte. Und wie sollte er das auch vermuten: Es war doch selbstverständlich, daß ich mit keiner einzigen Silbe, keiner einzigen Andeutung verraten würde, daß ich über die »Aktien« unterrichtet wäre. Unsere Unterhaltung dauerte nicht lange, er begann sofort, mir Geld zu versprechen, »und zwar eine bedeutende, bedeutende Summe, wenn’s beliebt, wenn Sie nur dazu beitragen, daß der Fürst hinfährt. Die Sache eilt, eilt sehr, das ist es ja eben, daß sie viel zu eilig ist!«
Ich hatte keine Lust, mit ihm zu streiten und ihm wie gestern zu widersprechen, und erhob mich, um mich zu verabschieden, nachdem ich für alle Fälle »mal versuchen« gemurmelt hatte. Aber plötzlich mußte ich mich maßlos über ihn wundern: Ich ging bereits zur Tür, als er unvermittelt seinen Arm freundschaftlich um meine Taille legte und mir … völlig unverständliche Dinge raunte.
Ich verzichte auf Einzelheiten und gebe nicht den ganzen Verlauf des Gesprächs wieder, um den Leser nicht zu ermüden. Der Sinn war, daß er mir den Vorschlag unterbreitete, »ihn Herrn Dergatschow vorzustellen, den Sie ja zu besuchen pflegen!«
Mein Atem stockte augenblicklich, und ich gab mir alle Mühe, mich durch keine Geste zu verraten. Allerdings erwiderte ich sogleich, daß ich dort keineswegs verkehrte, und wenn ich dort einmal gewesen wäre, dann rein
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