Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
Vom Netzwerk:
Leidenschaften beherrschen und sich wenigstens nicht an Kindern vergreifen würden. Aber Sie sind auch davor nicht zurückgeschreckt. Ich setze Sie davon in Kenntnis, daß das Ihnen bekannte Dokument mit Sicherheit nicht an einer Kerze verbrannt wurde und sich auch niemals bei Kraft befunden hat, so daß Sie nichts gewinnen würden. Deshalb sollten Sie den Jüngling nicht sinnlos verderben. Erbarmen Sie sich seiner, er ist noch nicht volljährig, beinahe noch ein kleiner Junge, weder geistig noch physisch entwickelt, was könnten Sie von ihm haben? Ich nehme Anteil an ihm und gehe deshalb das Risiko ein, Ihnen zu schreiben, wiewohl ich keine Hoffnung auf Erfolg habe. Ich habe die Ehre, Ihnen mitzuteilen, daß ich eine Kopie dieses Schreibens gleichzeitig an Baron Bjoring absende.
A. Werssilow
    Ich wurde kreidebleich, als ich das las, aber dann loderte ich plötzlich auf, und meine Lippen bebten vor Entrüstung.
    »Er meint ja mich! Er meint das, was ich ihm vorgestern anvertraut habe!« schrie ich in heller Wut.
    »Das ist es ja, daß du es ihm anvertraut hast!« Tatjana Pawlowna riß mir den Zettel aus der Hand.
    »Aber … das war es nicht … davon habe ich überhaupt nicht gesprochen! Mein Gott, was wird sie jetzt von mir denken! Er ist doch geisteskrank? Er ist doch bestimmt geisteskrank … Ich habe ihn gestern gesehen. Wann wurde dieser Brief abgeschickt?«
    »Gestern wurde er abgeschickt, gestern abend ist er angekommen, und heute hat sie ihn mir persönlich in die Hand gedrückt.«
    »Aber ich habe ihn doch gestern selbst gesehen, er ist geisteskrank! Ein Werssilow hätte nie so schreiben können, das hat ein Geisteskranker geschrieben! Wer sonst könnte so an eine Frau schreiben?«
    »Aber solche wutentbrannten Geisteskranken schreiben eben so, wenn ihnen vor Eifersucht und Bosheit Hören und Sprechen vergeht und das Blut sich in Gift, in Arsenik verwandelt … Und du hast noch nicht gewußt, was in ihm steckt! Nun wird er dafür seinen verdienten Lohn empfangen, so daß nur ein nasser Fleck von ihm übrigbleibt. Aber er legt doch selbst den Kopf unter das Fallbeil! Soll er doch lieber gleich nachts auf die Nikolajewsker Bahn gehen und den Kopf auf die Schienen legen, dann ist er ihn wenigstens los, wenn er ihm zu schwer ist! Und wie kommst du dazu, ihm alles zu erzählen! Was hat dich an der Zunge gezogen, ihn zu reizen? Prahlerei?«
    »Aber was für ein Haß! Was für ein Haß!« Ich schlug mit der Hand gegen die Stirn. »Weshalb nur, weshalb? Gegen eine Frau! Was hat sie ihm getan? Was waren das für Beziehungen zwischen ihnen, daß solche Briefe geschrieben werden können?«
    »Was-für-ein-Haß!« äffte mich Tatjana Pawlowna mit bitterem Hohn nach.
    Das Blut schoß mir wieder ins Gesicht: Plötzlich schwebte mir etwas völlig Neues vor; ich starrte sie fragend an.
    »Mach, daß du fortkommst!« kreischte sie, indem sie sich schnell von mir abwandte und eine abwehrende Bewegung mit der Hand machte. »Ich habe von euch allen die Nase voll! Jetzt reicht es! Und wenn euch alle die Erde verschlingt! … Nur um deine Mutter tut es mir immer noch leid …«
    Ich bin selbstverständlich dann zu Werssilow gerannt. Diese Tücke! Diese Tücke!
    IV
    Werssilow war nicht allein. Ich erkläre vorab: Nachdem er gestern diesen Brief an Katerina Nikolajewna und tatsächlich (Gott allein mochte wissen, wozu) eine Kopie an Baron Bjoring abgesandt hatte, mußte er natürlich heute noch, im Lauf des Tages, auch die üblichen »Folgen« seines Handelns erwarten und hatte deshalb gewisse Maßnahmen getroffen: Schon am Vormittag hatte er Mama und Lisa (die, wie ich später erfuhr, an diesem Vormittag sich nicht wohl gefühlt und gleich nach ihrer Rückkehr zu Bett gegangen war) nach oben in den »Sarg« verbannt, während die unteren Zimmer, besonders unser »Salon«, sorgfältig aufgeräumt und gefegt wurden. Und tatsächlich, um zwei Uhr mittags erschien bei ihm ein Baron R., Oberst, aktiver Offizier, um die Vierzig, deutscher Abstammung, ein großgewachsener, sehniger und dem Aussehen nach physisch sehr starker Mann, mit ebenfalls rötlichem Haar, wie Bjoring, aber mit beginnender Glatze. Er war einer jener Barone R., die in so großer Zahl beim russischen Militär dienten, Barone mit übertriebenem Ehrgefühl, völlig mittellos, die nur von ihrem Sold lebten und wegen ihres außerordentlichen Diensteifers und als Ausbilder geschätzt wurden. Ich habe den Anfang ihrer Unterredung nicht mitbekommen; beide waren sehr

Weitere Kostenlose Bücher