Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
sonst und stark – ich fühlte jeden seiner Schläge. Und alles war mir so angenehm und alles so leicht. Während ich an der Hauptwache an der Sennaja vorbeiging, empfand ich die größte Lust, auf den Posten zuzugehen und ihn zu küssen. Es taute, der Platz war schon schwarz und stank, aber ich fand größten Gefallen auch an dem Platz.
“Ich gehe jetzt zum Obuchowskij-Prospekt und dann nach links zum Semjonowskij-Polk, das ist ein Umweg, aber das ist großartig, alles ist großartig. Mein Pelz ist nicht zugeknöpft – wieso zieht ihn mir kein Mensch aus, wo bleiben die Diebe? An der Sennaja soll es Diebe geben, sagt man; sollen sie doch kommen, ich werde ihnen vielleicht meinen Pelz abgeben. Wozu brauche ich einen Pelz? Ein Pelz ist Eigentum. La propriété, c’est le vol . Das ist übrigens Unsinn, alles ist gut. Es ist gut, daß es taut. Wozu soll es frieren? Es ist überhaupt nicht nötig, daß es friert. Es ist auch gut, Unsinn zu reden. Was habe ich doch vorhin zu Lambert über Prinzipien gesagt? Ich habe gesagt, es gebe keine allgemein gültigen Prinzipien, nur Einzelfälle; das war Blödsinn, Erzblödsinn. Und noch dazu mit Absicht, um anzugeben. Bißchen peinlich, übrigens nicht so schlimm – läßt sich ausbügeln. Schämen Sie sich nicht, quälen Sie sich nicht, Arkadij Makarowitsch. Arkadij Makarowitsch, Sie gefallen mir. Sie gefallen mir sogar sehr, mein junger Freund. Schade, daß Sie nur ein kleiner Gauner sind … und … und … ach ja … ach!”
Plötzlich blieb ich stehen, und mein ganzes Herz verging beinahe vor lauter Lust und Entzücken:
“Mein Gott, was hat er da gesagt? Er hat gesagt, daß sie – mich liebt. Oh, er ist – er ist ein Spitzbube, er hat vieles dazugelogen; alles nur, damit ich bei ihm übernachte. Vielleicht auch nicht. Er sagte, daß auch Anna Andrejewna dasselbe denke … Ha! Ihm hätte auch Nastassja Jegorowna etwas auskundschaften können: Die schnüffelt überall herum. Und warum bin ich nicht zu ihm mitgekommen? Ich hätte alles erfahren! Hm! Er hat einen Plan, und den habe ich bis zum letzten Detail geahnt. Der Traum. Weitgreifend geplant, Herr Lambert. Aber Sie täuschen sich, es wird anders kommen. Aber vielleicht doch so! Kann er mich denn verheiraten? Er kann es, er kann es doch. Er ist naiv und glaubt an sich. Er ist dumm und dreist, wie alle Geschäftsmänner. Dummheit und Dreistigkeit im Verein sind eine große Macht. Gestehen Sie doch, Arkadij Makarowitsch, daß Sie Lambert trotz allem gefürchtet haben! Wozu braucht er eigentlich ehrliche Menschen? Er sagt ja vollkommen ernst: Nicht ein einziger ehrlicher Mensch ist hier zu finden! Und du selbst – wer bist du? Aber was rede ich! Sind etwa die Gauner nicht auf ehrliche Menschen angewiesen? Bei Gaunertricks braucht man die Ehrlichen noch dringender als irgendwo sonst. Haha! Das haben Sie, Arkadij Makarowitsch, bis jetzt noch nicht gewußt, Sie, in Ihrer vollkommenen Unschuld. Mein Gott! Was ist, wenn er mich wirklich verheiratet?”
Ich blieb wieder stehen. Ich muß an dieser Stelle eine Dummheit bekennen (sie ist ja schon längst verjährt), ich muß bekennen, daß ich schon vor langem mir gewünscht habe zu heiraten – das heißt, nicht regelrecht gewünscht, und es wäre auch niemals geschehen (es wird auch künftig nicht geschehen, Ehrenwort!), aber ich habe mehr als einmal und schon vor langem davon geträumt, wie schön es wäre zu heiraten – das heißt, furchtbar oft, besonders vor dem Einschlafen, jedes Mal, Abend für Abend. Das hat bei mir schon im sechzehnten Lebensjahr angefangen. Ich hatte im Gymnasium einen Mitschüler, Lawrowskij, gleichaltrig, ein lieber, stiller, hübscher Junge, der sich übrigens vor den anderen durch nichts auszeichnete. Wir hatten fast nie ein Wort miteinander gewechselt. Plötzlich saßen wir eines Tages zusammen, allein, er war sehr nachdenklich und sagte plötzlich zu mir: »Ach, Dolgorukij, wenn man doch jetzt heiraten könnte, was halten Sie davon? Wirklich, denn wann sollte man heiraten, wenn nicht jetzt; jetzt ist es die beste, die allerbeste Zeit dazu, aber man darf nicht!« Das sagte er so treuherzig. Da stimmte ich ihm plötzlich aus vollem Herzen bei, weil auch ich schon davon phantasierte. In den folgenden Tagen haben wir uns öfters getroffen und davon gesprochen, ganz im Vertrauen, übrigens nur darüber. Später, ich weiß nicht mehr, warum das geschah, haben wir uns getrennt und sprachen nicht mehr miteinander. Und darauf begann
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