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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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Zimmer Makar Iwanowitschs in die Küche eilte, mich beinahe umgerannt. Ich warf den Pelz ab und trat in das Zimmer Makar Iwanowitschs, denn dort waren alle versammelt.
    Werssilow und Mama standen dort, Mama lag in seinen Armen, und er drückte sie fest ans Herz. Makar Iwanowitsch saß wie gewöhnlich auf seinem Bänkchen, schien aber vollkommen kraftlos, so daß Lisa ihn aus allen Kräften mit beiden Händen an einer Schulter hielt, damit er nicht stürzte; es war sogar nicht zu übersehen, daß er sich immer weiter zur Seite neigte und im nächsten Augenblick fallen müßte. Ich machte einen großen Schritt auf ihn zu, fuhr zusammen und wußte: Der alte Mann war tot.
    Er war soeben gestorben, höchstens eine Minute vor meiner Ankunft. Vor zehn Minuten war sein Befinden noch so wie immer gewesen. Lisa war allein bei ihm gewesen; sie hatte neben ihm gesessen und ihm von ihrem Kummer erzählt, er aber hatte ihr, wie gestern, den Kopf gestreichelt. Plötzlich war ein Beben durch seinen Körper gegangen (erzählte Lisa), er wollte sich schon erheben, rufen, begann aber schweigend nach links zu sinken. »Herzschlag!« habe Werssilow nachher gesagt. Lisa schrie durchs ganze Haus, und da waren sie alle herbeigeeilt – alles etwa eine Minute vor meinem Kommen.
    »Arkadij«, rief mir Werssilow zu. »Sofort zu Tatjana Pawlowna! Sie ist ganz bestimmt zu Hause. Bitte sie, unverzüglich zu kommen. Nimm eine Droschke. Beeile dich, ich beschwöre dich!«
    Seine Augen funkelten – daran erinnere ich mich deutlich. In seinem Gesicht fand ich keine Spur von Ergriffenheit oder von Tränen – es weinten nur Mama, Lisa und Lukerja. Im Gegenteil, das habe ich mir sehr gut gemerkt, sein Gesicht überraschte mich durch den Ausdruck einer ungewöhnlichen Erregung, beinahe Begeisterung. Ich machte mich auf den Weg zu Tatjana Pawlowna.
    Der Weg dorthin ist, wie früher erwähnt, nicht weit. Ich nahm keine Droschke, sondern rannte den ganzen Weg, ohne anzuhalten. In meinem Kopf herrschte ein Durcheinander und sogar ebenfalls etwas wie Begeisterung. Ich begriff, daß etwas Radikales eingetreten war. Mein Rausch war vollkommen verflogen, bis auf den letzten Rest, und mit ihm alle unedlen Gefühle, als ich bei Tatjana Pawlowna läutete.
    Die Finnin öffnete: »Nicht zu Hause« und versuchte, die Tür sofort wieder zuzuziehen.
    »Wieso nicht zu Hause?« Ich drängte mich gewaltsam in den Flur. »Das ist ausgeschlossen! Makar Iwanowitsch ist gestorben!«
    »Wa-as?« ertönte plötzlich der Aufschrei Tatjana Pawlownas hinter der verschlossenen Tür zu ihrem Salon.
    »Gestorben! Makar Iwanowitsch ist gestorben! Andrej Petrowitsch läßt Sie bitten, sofort zu kommen!«
    »Du lügst wohl …«
    Der Riegel klickte, aber die Tür öffnete sich nur eine Handbreit: »Was ist los? Erzähle!«
    »Ich weiß es selbst nicht, ich bin gerade nach Hause gekommen, da war er schon tot. Andrej Petrowitsch sagt: Herzschlag.«
    »Sofort, gleich. Lauf, sag ihnen, ich komme: Nun geh schon, geh, geh! Warum stehst du noch da?«
    Aber ich sah durch den Türspalt ganz deutlich, daß plötzlich jemand hinter der Portiere vor Tatjana Pawlownas Bett hervorgetreten und in der Tiefe des Zimmers stehengeblieben war, hinter Tatjana Pawlownas Rücken. Mechanisch, instinktiv packte ich die Klinke und ließ die Tür sich nicht mehr schließen.
    »Arkadij Makarowitsch, ist es wahr, daß er gestorben ist?« erklang die mir bekannte, leise, harmonische, metallische Stimme, die alles in meiner Seele erbeben ließ: In der Frage vernahm ich etwas, das ihre Seele tief ergriff und aufwühlte.
    »Wenn es so ist«, Tatjana Pawlowna ließ plötzlich die Klinke los, »wenn es so ist – dann seht selbst zu, wie es weitergeht. Euer eigener Wille!«
    Und sie stürmte aus der Wohnung, warf sich im Laufen Kopftuch und Pelz über und lief die Treppe hinunter. Wir blieben allein. Ich streifte den Pelz ab, trat ein und zog hinter mir die Tür zu. Sie stand vor mir wie damals, bei unserem Rendezvous, mit hellem Gesicht, und streckte mir, wie damals, beide Hände entgegen. Ich fiel ihr zu Füßen, buchstäblich, wie hingemäht.
    III
    Mir kamen die Tränen, ich weiß nicht warum; ich weiß nicht mehr, wie sie mich an ihrer Seite sitzen ließ, ich weiß nur noch, in meiner kostbaren Erinnerung, wie wir nebeneinandersaßen, Hand in Hand, und ungestüm redeten: Sie fragte nach dem alten Mann und nach seinem Sterben, und ich erzählte ihr von ihm – so, daß man hätte denken können, mir wären

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