Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
zusammen verbringen und noch eine Flasche trinken, und Alphonsina singt uns was zur Gitarre.«
»Nein, ich gehe nicht mit. Höre, Lambert, ich habe eine ›Idee‹. Wenn es nicht klappt und ich nicht heirate, dann ziehe ich mich auf diese Idee zurück; du aber hast keine Idee.«
»Schon gut, schon gut, du wirst mir alles erzählen, laß uns gehen.«
»Ich gehe nicht mit!« sagte ich und erhob mich. »Ich will nicht, und ich gehe nicht. Ich werde noch zu dir kommen, aber du bist ein Schurke. Ich werde dir die dreißigtausend geben – meinetwegen, aber ich bin sauberer und höher als du … Ich sehe doch, daß du mich übers Ohr hauen möchtest. Und ich verbiete dir, an sie auch nur zu denken: Sie ist höher als alle, und deine Pläne – die sind von solcher Niedertracht, Lambert, daß ich dich sogar bewundern muß. Ich will heiraten – das ist eine ganz andere Sache, aber ich brauche dazu kein Kapital, ich verachte das Kapital. Ich selbst würde es nicht einmal anfassen, auch wenn sie mir ihr Kapital auf Knien darreichen würde. Aber heiraten – ja, heiraten, das ist etwas ganz anderes. Und, weißt du, das hast du gut gesagt – an die Kandare nehmen. Lieben, leidenschaftlich lieben, mit aller Großmut, wie sie dem Mann eigen und niemals in einer Frau zu finden ist, aber auch Despotie – das ist gut. Weil, weißt du, Lambert, weil die Frau den Despotismus liebt. Du kennst die Frau, Lambert, aber du bist erstaunlich dumm in allem übrigen. Und weißt du, Lambert, du bist gar nicht so durchtrieben, wie du scheinst – du bist naiv. Ich liebe dich. Ach, Lambert, warum bist du nur solch ein Gauner? Sonst würden wir fidel leben! Weißt du, Trischatow mag ich.«
Alle diese zusammenhanglosen Sätze stammelte ich bereits auf der Straße. Oh, ich führe all das an, bis auf die kleinste Kleinigkeit, damit der Leser sieht, daß ich trotz aller Begeisterung und aller Schwüre und dem Gelöbnis einer Besserung und des Suchens nach Wohlgestalt damals so leicht auch in einem solchen Morast versinken konnte! Und ich schwöre, daß ich mir niemals diese Geständnisse vor dem Leser gestattet hätte, wenn ich jetzt nicht ein völlig anderer Mensch wäre und durch das praktische Leben einen Charakter errungen hätte.
Als wir den Laden verlassen hatten, stützte mich Lambert, indem er mir den Arm leicht um die Schulter legte. Plötzlich sah ich ihn an und erkannte fast denselben Ausdruck seines aufmerksamen, lauernden, furchtbar wachen und in höchstem Maße nüchternen Blicks, denselben wie damals, an jenem Morgen, als ich beinahe erfroren war und er mich gestützt hatte, ebenso mit dem Arm um meine Schultern und mit Ohr und Auge mein zusammenhangloses Stammeln gierig aufnehmend. Betrunkene kennen, kurz bevor sie die Besinnung gänzlich verlieren, solch plötzliches Aufblitzen völliger Nüchternheit.
»Um nichts auf der Welt komme ich mit zu dir!« sagte ich fest und überdeutlich, wobei ich ihn spöttisch ansah und mit der Hand zurückstieß.
»Schon gut, ich werde Alphonsina befehlen, uns einen Tee zu servieren, schon gut.«
Er war unerschütterlich sicher, daß ich ihm nicht entrinnen würde; er umarmte und stützte mich mit Genuß, wie ein Opfer, und er war ja natürlich auf mich angewiesen, gerade an diesem Abend und in meinem Zustand! Später findet das alles seine Erklärung – wozu.
»Ich komme nicht mit«, wiederholte ich. »Droschke!«
Ausgerechnet in diesem Augenblick tauchte eine Droschke auf, und ich sprang mit einem Satz in den Schlitten.
»Wohin? Was hast du?« schrie Lambert aus vollem Hals und klammerte sich furchtbar erschrocken an meinen Pelz.
»Untersteh dich, mich zu verfolgen!« rief ich, »komm ja nicht nach!« In diesem Augenblick setzte sich der Schlitten in Bewegung, und mein Pelz entglitt Lamberts Händen.
»Du kommst sowieso!« schrie er mir wütend nach.
»Ich komme, wenn’s mir paßt – nach meinem Willen!« Damit wandte ich mich noch einmal aus dem Schlitten nach ihm um.
II
Er verfolgte mich nicht, natürlich deshalb, weil keine andere Droschke zur Stelle war, und ich konnte entkommen. Ich ließ mich aber nur bis zur Sennaja bringen, stieg dort aus und entließ den Kutscher. Ich hatte schreckliche Lust, ein Stück zu Fuß zu gehen: Ich fühlte mich weder müde noch stark betrunken, sondern nur munter; im Vollbesitz meiner Kräfte, in einer ungewöhnlichen Bereitschaft zu jeglichem Unternehmen und mit unzähligen angenehmen Gedanken im Kopf.
Das Herz schlug schneller als
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