Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
aber nachtragend, trotz meiner Großmut: Geht es anderen Menschen auch so? Damals aber, oh, damals bin ich mit großmütigen Gefühlen gekommen, vielleicht mit komischen, aber was tut das schon: Besser mit komischen, aber großmütigen, als mit nicht komischen, aber gemeinen, alltäglichen, durchschnittlichen! Diese Begegnung mit dem »Bruder« habe ich vor allen verheimlicht, sogar vor Marja Iwanowna, sogar in Petersburg vor Lisa; diese Begegnung war genauso schmachvoll wie eine empfangene Ohrfeige. Und plötzlich läuft mir dieser Herr über den Weg, als ich am wenigsten damit rechnete, ihm zu begegnen; er lächelt mir zu, zieht den Hut und sagt ungetrübt freundschaftlich: »Bonsoir.« Natürlich gab es einiges zu überlegen … Aber die Wunde hatte sich wieder geöffnet!
V
Nachdem ich mich über vier Stunden im Gasthaus aufgehalten hatte, rannte ich plötzlich wie in einem Anfall hinaus, selbstverständlich wieder zu Werssilow, und traf ihn selbstverständlich zu Hause wieder nicht an: Er war inzwischen nicht gekommen; die Amme wirkte bedrückt und bat mich plötzlich, Nastassja Jegorowna zu ihr zu schicken; oh, was ging mich das an! Ich eilte auch zu Mama, ging aber nicht hinein, sondern rief Lukerja in das Vorzimmer heraus; von ihr erfuhr ich, daß er nicht dagewesen und Lisa ebenfalls nicht zu Hause sei. Ich merkte, daß Lukerja mich ebenfalls etwas fragen und vielleicht mir ebenfalls irgend etwas auftragen wollte; aber was ging mich das an! Es blieb nur die letzte Hoffnung, daß er bei mir gewesen sei; aber daran glaubte ich nicht mehr.
Ich habe schon erwähnt, daß ich dem Wahnsinn nahe war. Und nun, in meinem Zimmer, treffe ich plötzlich Alphonsinka und meinen Vermieter an. Freilich, sie waren gerade dabei, das Zimmer zu verlassen, und Pjotr Ippolitowitsch hielt eine Kerze in der Hand.
»Was soll das heißen!« brüllte ich meinen Vermieter an, »wie konnten Sie sich erlauben, diese Schwindlerin in mein Zimmer zu führen?«
» Tiens!« rief Alphonsinka . »Et les amis? «
»Raus!« brüllte ich.
» Mais c’est un ours !« Sie huschte hinaus in den Korridor, mimte Entsetzen und verschwand im Nu bei der Vermieterin. Pjotr Ippolitowitsch, immer noch die Kerze in der Hand, trat mit strenger Miene auf mich zu:
»Erlauben Sie die Bemerkung, Arkadij Makarowitsch, daß Ihre Aufregung unberechtigt ist; bei aller Hochschätzung, die wir für Sie empfinden, ist Mamsell Alphonsina keine Schwindlerin, sondern sie ist, ganz im Gegenteil, bei uns zu Besuch, und eben nicht bei Ihnen, sondern bei meiner Frau, mit der sie seit einiger Zeit verkehrt.«
»Aber wie konnten Sie sich unterstehen, sie in mein Zimmer zu führen?« wiederholte ich und griff mich an den Kopf, der fast plötzlich furchtbar schmerzte.
»Aber ganz zufällig, wenn’s beliebt. Ich war hereingekommen, um das Kappfenster zu schließen, das ich selbst für die frische Luft geöffnet hatte; und da wir, ich und Alphonsina Karlowna, unser vorhergehendes Gespräch fortsetzten, kam sie im Gespräch mit in Ihr Zimmer, einzig als meine Begleitung.«
»Das ist nicht wahr, Alphonsinka ist eine Spionin, und Lambert ist ein Spion! Vielleicht sind Sie auch ein Spion! Und Alphonsinka ist gekommen, um mir etwas zu stehlen.«
»Ganz nach Ihrem Gefallen. Heute gefällt es Ihnen, dies zu sagen, und morgen jenes. Aber meine Wohnung habe ich für einige Zeit vermietet und ziehe mit meiner Frau in das Kämmerchen; so daß Alphonsina Karlowna jetzt fast ebenso meine Mieterin ist wie Sie, wenn’s beliebt.«
»Sie haben die Wohnung an Lambert vermietet?« rief ich erschrocken.
»Aber nein, nicht an Lambert«, er lächelte sein breites Lächeln vom Vormittag, das übrigens jetzt eine Festigkeit zu erkennen gab, anstelle der früheren Unsicherheit. »Ich nehme an, daß Sie dies selbst zu wissen geruhen und sich nur vergeblich den Anschein geben, Sie wüßten es nicht, einzig und allein um des Scheins willen, deshalb ärgern Sie sich auch. Gute Nacht, wenn’s beliebt!«
»Ja, ja, lassen Sie mich, lassen Sie mich in Ruhe!« Ich winkte ab, den Tränen nahe, so daß er mich ehrlich verwundert ansah; doch schließlich ging er hinaus. Ich legte den Haken an der Tür vor und warf mich auf mein Bett, das Gesicht ins Kissen vergraben. Und so verging für mich der erste entsetzliche Tag dieser drei verhängnisvollen letzten Tage, mit denen meine Aufzeichnungen schließen.
Zehntes Kapitel
I
Aber schon wieder erachte ich es für nötig, dem Gang der Ereignisse
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