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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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vielleicht traurig ich sogar in der Gesellschaft des Fürsten W – – skij auftreten und auf diese Weise einen unmittelbaren Zugang zu dieser Welt finden würde – oh, ich dulde keine Schonung, es geschieht mir recht, es geschieht mir recht: So etwas muß beschrieben werden, und zwar genau in dieser Ausführlichkeit! Und plötzlich – vierzig Rubel durch einen Lakaien, ins Vorzimmer, und dazu nach zehn Minuten Wartezeit, aus einer nackten Hand, aus Lakaienfingern, nicht einmal von einem Teller oder in einem Kuvert!
    Ich brüllte den Lakaien so laut an, daß er zusammenzuckte und zurückfuhr; ich befahl ihm, die Scheine unverzüglich zurückzubringen, »der Herr muß es selbst bringen« – mit einem Wort, meine Forderung war selbstverständlich verwirrend und unverständlich für den Lakaien. Ich hatte allerdings so gebrüllt, daß er wieder zurückging. Außerdem war mein Gebrüll offenbar im Salon gehört worden, denn die Stimmen und das Gelächter verstummten plötzlich.
    Fast unmittelbar darauf hörte ich Schritte, bedächtige, gemessene, weiche Schritte, und ein hochgewachsener, schöner und hochmütiger junger Mann (damals kam er mir noch blasser und schlanker vor als bei der heutigen Begegnung) erschien auf der Schwelle zum Vorzimmer – sogar ein Arschin vor der Schwelle. Er trug einen prächtigen rotseidenen Schlafrock, Pantoffeln und ein Pincenez auf der Nase. Ohne ein Wort zu sagen, richtete er seinen Kneifer auf mich und betrachtete mich. Ich machte einen Schritt auf ihn zu, wie ein wildes Tier, pflanzte mich herausfordernd vor ihn und starrte ihm ins Gesicht. Aber er betrachtete mich nur einen Augenblick, höchstens zehn Sekunden lang; plötzlich kräuselte ein kaum merkliches Lächeln seine Lippen, allerdings das giftigste, gerade weil es kaum merklich war; schweigend drehte er sich um und entfernte sich wieder in die inneren Räume, ebenso gemächlich, ebenso ruhig und gelassen, wie er gekommen war. Oh, diesen Beleidigern wird schon von Kindesbeinen an, schon in ihren Familien, von ihren Müttern das Beleidigen beigebracht! Selbstverständlich verlor ich die Contenance … Oh, weshalb habe ich damals die Contenance verloren!
    Fast im selben Augenblick erschien derselbe Lakai mit denselben Scheinen in der Hand:
    »Nehmen Sie gefälligst, das ist für Sie aus Petersburg, aber die Herrschaften können Sie nicht empfangen; ›vielleicht einmal zu einer anderen Zeit, wenn’s dem Herrn günstiger ist‹.« Ich spürte, daß er die letzten Worte von sich aus hinzufügte. Aber ich hatte meine Contenance immer noch nicht zurückgewonnen; ich nahm das Geld und ging zur Tür; aber das lag nur an meiner Verwirrung, ich hätte es nicht annehmen sollen; aber der Lakai, der mich natürlich treffen wollte, erlaubte sich einen echten Lakaienspaß: Er riß vor mir plötzlich demonstrativ die Tür auf, hielt sie weit auf und sagte hoheitsvoll und betont, als ich an ihm vorüberging:
    »Bitte schön, wenn’s beliebt!«
    »Schurke!« schrie ich ihn an und holte plötzlich mit der Hand aus, schlug aber nicht zu, »und dein Herr ist auch ein Schurke! Melde ihm das augenblicklich!« fügte ich hinzu und trat auf die Treppe hinaus.
    »Das dürfen Sie nicht! Wenn ich das dem Herrn melde, kommen Sie sofort mit einem Zettel aufs Polizeirevier. Und mit der Hand ausholen dürfen Sie auch nicht …«
    Ich ging die Treppe hinunter. Das war die Paradetreppe, ganz offen, und von oben konnte man mich beobachten, wie ich über den roten Teppich hinabstieg. Alle drei Lakaien waren herausgekommen und standen oben am Geländer. Natürlich beschloß ich zu schweigen: Ein Wortwechsel mit Lakaien ist ein Ding der Unmöglichkeit. Ich schritt die ganze Treppe hinunter, ohne mich zu beeilen und sogar, wie ich glaube, immer langsamer.
    Oh, es gibt Philosophen (Schmach und Schande über sie!), die behaupten, dies alles seien Lappalien, die Überempfindlichkeit eines Milchbarts – meinetwegen, aber für mich war es eine Wunde – eine Wunde, die bis heute noch nicht geheilt ist, sogar bis zu diesem Augenblick nicht, da ich dies niederschreibe und alles zu Ende und sogar gerächt ist. Oh, ich schwöre! Ich bin nicht nachtragend und nicht rachsüchtig. Zweifellos lechze ich sogar glühend nach Rache, immer wenn man mich beleidigt, aber ich schwöre – nur mit Großmut. So will ich auch ihm nur durch Großmut heimzahlen, aber so, daß er es fühlt, daß er es wahrnimmt – und ich bin gerächt! Außerdem: Ich bin nicht rachsüchtig,

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