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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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war: Er, ein Verräter, wünschte sich nichts so sehr, als mich von Anna Andrejewna wegzulocken, damit er mit meiner Hilfe das Dokument an die Achmakowa verkaufen könnte, was er aus irgendwelchem Grunde für vorteilhafter hielt. Aber da ich bis zur letzten Minute das Dokument nicht herausrückte, hatte er sich entschlossen, im schlimmsten Fall sogar Anna Andrejewna zu unterstützen, um nicht leer auszugehen, und drängte sich mit seiner Dienstfertigkeit förmlich auf, bis zur allerletzten Stunde, und ich weiß, daß er ihr sogar angeboten hatte, im Bedarfsfall einen Geistlichen zu beschaffen … Aber Anna Andrejewna bat ihn mit verächtlichem Lächeln, dergleichen nicht zu erwähnen. Lambert erschien ihr entsetzlich grob und erweckte in ihr nichts als Abscheu; aber aus Umsicht nahm sie trotzdem seine Dienste an, die unter anderem im Spionieren bestanden. Übrigens weiß ich noch nicht einmal heute ganz sicher, ob sie Pjotr Ippolitowitsch, meinen Vermieter, nicht bestochen hatten und ob er damals einen wenn auch nur geringen Lohn für seine Dienste erhalten oder ihre Gesellschaft nur aus Spaß an einer Intrige gesucht hatte; jedenfalls spionierte er mir nach, und seine Gattin ebenfalls – das weiß ich bestimmt.
    Der Leser wird jetzt verstehen, daß ich zwar zum Teil vorbereitet war, mir aber dennoch nicht vorstellen konnte, morgen oder übermorgen den alten Fürsten in meiner Behausung und in solchen Umständen zu empfangen. Und ebensowenig konnte ich mir eine solche Unverfrorenheit von seiten Anna Andrejewnas vorstellen! Mit Worten läßt sich alles sagen oder andeuten; aber einen Entschluß fassen, in Angriff nehmen und ihn tatsächlich ausführen – nein, dazu gehört, das muß ich schon sagen – Charakter!
    II
    Ich fahre fort.
    Am nächsten Morgen wachte ich spät auf, nach einem ungewöhnlich festen und traumlosen Schlaf, woran ich mich mit höchster Verwunderung erinnere, und empfand nach dem Aufwachen in meiner Seele eine ungewöhnliche Frische, als hätte es den gestrigen Tag gar nicht gegeben. Ich hatte mir vorgenommen, nicht bei meiner Mutter vorbeizufahren, sondern mich direkt in die Friedhofskirche zu begeben, um anschließend, nach der Zeremonie, Mama in ihre Wohnung zu begleiten und den ganzen Tag nicht von ihrer Seite zu weichen. Ich war fest überzeugt, daß ich ihm heute auf jeden Fall bei Mama begegnen würde, früher oder später – aber unweigerlich.
    Sowohl Alphonsinka als auch mein Vermieter waren längst aus dem Haus. Die Hauswirtin wollte ich um keinen Preis ausfragen, und überhaupt hatte ich mir vorgenommen, sämtliche Beziehungen zu den beiden abzubrechen und so schnell wie möglich auszuziehen; deshalb legte ich, sobald der Kaffee gebracht war, wieder den Haken vor. Doch plötzlich klopfte es an meiner Tür; zu meinem Erstaunen war es Trischatow.
    Ich öffnete ihm sofort, freute mich und bat ihn einzutreten, er aber weigerte sich.
    »Nur zwei Worte an der Schwelle … aber wenn ich schon eintrete, weil man sich besser bei Ihnen nur flüsternd verständigt, werde ich bei Ihnen nicht Platz nehmen. Sie sehen meinen armseligen Mantel an: Das kommt daher, weil Lambert mir den Pelz abgenommen hat.«
    In der Tat, er trug einen alten, abgetragenen und zu langen Mantel. Er stand vor mir irgendwie finster und traurig, die Hände in die Taschen vergraben, und behielt den Hut auf dem Kopf.
    »Ich setze mich nicht, ich setze mich nicht. Hören Sie, Dolgorukij, ich kenne keine Einzelheiten, aber ich weiß, daß Lambert vorhat, Sie irgendwie zu verraten, sehr bald und unausbleiblich – und das ist ganz sicher. Sie müssen sich in acht nehmen. Mir hat es der Pockennarbige angedeutet – erinnern Sie sich an den Pockennarbigen? Er hat nicht gesagt, worum es geht, so daß ich auch nichts weitersagen kann. Ich bin nur gekommen, um Sie zu warnen – leben Sie wohl.«
    »Aber nehmen Sie doch Platz, lieber Trischatow! Ich bin zwar in Eile, aber ich freue mich so, Sie …«, rief ich schon.
    »Ich setze mich nicht, ich setze mich nicht; aber daß Sie sich über meinen Besuch gefreut haben, werde ich nicht vergessen. Ha, Dolgorukij, wozu anderen Menschen etwas vormachen: Ich habe mich bewußt, freiwillig auf alles mögliche Üble eingelassen und auf eine solche Schändlichkeit, daß ich mich schäme, es bei Ihnen auch nur auszusprechen. Wir sind jetzt bei dem Pockennarbigen … Leben Sie wohl. Ich bin es nicht wert, bei Ihnen Platz zu nehmen.«
    »Aber ich bitte Sie, Trischatow, mein

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