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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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vorzugreifen und den Leser wenigstens über einiges im voraus aufzuklären, denn hier mischen sich in den logischen Fluß der Geschichte so viele Zufälligkeiten, daß er sich, ohne wenigstens über einiges aufgeklärt zu werden, unmöglich zurechtfinden könnte. Die Hauptsache dabei war jene »Schlinge«, die Tatjana Pawlowna im Eifer des Gesprächs erwähnt hatte. Und diese Schlinge bestand darin, daß Anna Andrejewna endlich den gewagtesten Schritt riskiert hatte, den man sich in ihrer Lage nur vorstellen konnte. Wahrhaftig – ein Charakter! Obwohl der alte Fürst unter dem Vorwand seiner angegriffenen Gesundheit damals rechtzeitig nach Zarskoje Selo verschickt worden war, so daß die Nachricht seiner künftigen Vermählung mit Anna Andrejewna sich in der großen Welt nicht weiter verbreiten konnte, würde der alte Herr, der alles mit sich machen ließ, um nichts auf der Welt seine Idee aufgeben und Anna Andrejewna, die ihm den Heiratsantrag gemacht hatte, verraten. In dieser Beziehung war er ein Ritter; also früher oder später würde er sich plötzlich erheben und mit unbezwinglicher Kraft zur Ausführung seiner Absichten schreiten, wie es hin und wieder gerade bei schwachen Charakteren der Fall ist, denn gerade ihnen ist eine gewisse Grenze eigen, die man unbedingt respektieren sollte. Außerdem war er sich der heiklen Lage Anna Andrejewnas, die er unendlich verehrte, voll bewußt, er war sich der Unvermeidlichkeiten von Gerüchten, von Spott und üblen Nachreden auf ihre Kosten in der großen Welt bewußt. Besänftigt und gezähmt wurde er bis jetzt nur dadurch, daß Katerina Nikolajewna sich kein einziges Mal, weder durch ein offenes Wort noch durch eine Anspielung, erlaubt hatte, in seiner Gegenwart irgend etwas Nachteiliges über Anna Andrejewna, geschweige denn das leiseste Bedenken wegen seiner Heiratsabsichten zu äußern. Im Gegenteil, sie behandelte die Braut ihres Vaters äußerst wohlwollend und aufmerksam. Auf diese Weise geriet Anna Andrejewna in eine außerordentlich peinliche Lage, da sie dank ihres feinen weiblichen Instinkts spürte, daß sie mit der leisesten Nachrede gegen Katerina Nikolajewna, die der Fürst ebenfalls anbetete, und jetzt sogar mehr als früher, gerade deshalb, weil sie so wohlwollend und ehrfurchtsvoll seine Heirat billigte – daß sie mit der leisesten Nachrede gegen sie, seine Tochter, sein Mißtrauen und vielleicht sogar seinen Zorn hätte wecken können. Einstweilen also wurde auf diesem Schlachtfeld unermüdlich gekämpft: Beide Nebenbuhlerinnen wetteiferten sozusagen miteinander in Taktgefühl und Geduld, so daß der Fürst zu guter Letzt nicht mehr wußte, wer von den beiden seine größere Bewunderung verdiente, und nach der Gewohnheit aller schwachen, aber zärtlichen Herzen damit endete, daß er zu leiden begann und sich selbst als den einzig Schuldigen bekannte. Sein Schmerz soll, wie man sagte, ihn an die Schwelle einer Krankheit gebracht haben; seine Nerven waren in der Tat zerrüttet, und statt der Erholung und Gesundung in Zarskoje Selo war er, wie man versicherte, beinahe bettlägerig geworden.
    An dieser Stelle sei gleichsam in Klammern etwas eingefügt, was ich erst sehr viel später erfahren habe: Bjoring soll Katerina Iwanowna unverblümt vorgeschlagen haben, den alten Mann ins Ausland zu bringen, nachdem man ihm irgendwie sein Einverständnis abgeluchst und inzwischen unter der Hand in der Gesellschaft verbreitet hätte, er habe den Verstand völlig verloren, um dort, im Ausland, sich ein ärztliches Zeugnis zu beschaffen. Aber gerade dies lehnte Katerina Nikolajewna entschieden ab; es wurde jedenfalls später behauptet, sie hätte dieses Projekt sogar entrüstet verworfen. All das ist – nur ein ganz vages Gerücht, aber ich glaube ihm.
    Und nun, als die Angelegenheit sozusagen völlig ausweglos zu sein schien, erfährt Anna Andrejewna plötzlich von Lambert, daß ein Brief existiere, in dem die Tochter sich bereits an einen Juristen gewendet und sich nach Mitteln erkundigt hatte, um ihren Vater für unzurechnungsfähig erklären zu lassen. Ihr rachsüchtiger und stolzer Geist geriet in höchste Erregung. Indem sie sich an unsere früheren Gespräche erinnerte und eine Unmenge kleinster Details miteinander kombinierte, konnte sie an der Verläßlichkeit der Nachricht nicht länger zweifeln. Darauf reifte in diesem harten, unbeugsamen Frauenherzen unabwendbar der Plan eines Coups. Der Plan bestand darin, plötzlich ohne alle Umschweife und

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