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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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Gönn es ihm doch, diesem Toren, wenn er sich noch einmal, zum letzten Mal austoben will! Wenn er erst alt ist, wer außer dir, der alten Amme, wird den Siechen dann pflegen! Er kündigt es ja selbst an, schamlos …«
    Was uns betrifft, so lag Lisa in Ohnmacht. Ich wollte ihm zuerst nachlaufen, aber dann stürzte ich zu Mama. Ich umarmte sie und ließ sie nicht aus meinen Armen. Lukerja kam mit einem Glas Wasser für Lisa gelaufen. Aber Mama kam bald wieder zu sich. Sie ließ sich auf den Diwan fallen, schlug die Hände vors Gesicht und brach in Tränen aus.
    »Trotzdem, trotzdem … trotzdem, du solltest ihm nachlaufen!« schrie plötzlich Tatjana Pawlowna in voller Lautstärke, als wäre sie zur Besinnung gekommen. »Los! Los! Hol ihn ein, keinen Schritt von seiner Seite! Los! Los!« Sie zog mich mit aller Kraft von Mama fort: »Ach was, dann lauf ich ihm eben selbst nach!«
    »Arkascha, ach, lauf ihm doch nach, schnell!« rief plötzlich auch Mama.
    Ich rannte kopflos hinaus, ebenfalls durch die Küche und über den Hof, aber er war nirgends mehr zu sehen. In der Ferne, auf dem Trottoir, bewegten sich die schwarzen Schatten der Passanten; ich lief ihnen nach und sah jedem beim Überholen ins Gesicht, bevor ich weiterrannte. So erreichte ich die Kreuzung.
    “Den Geisteskranken nimmt man nichts übel”, schoß es mir plötzlich durch den Kopf, “Tatjana aber schäumt in bestialischer Wut; also ist er – keineswegs geisteskrank …” Oh, ich wurde den Eindruck nicht los, daß es doch eine Allegorie gewesen war und daß er unbedingt gewünscht hatte, irgendeinen Schlußstrich zu ziehen, wie mit dieser Ikone, und dies uns, Mama, uns allen zu demonstrieren. Aber auch der »Doppelgänger« hatte dicht neben ihm gestanden, daran gab es für mich nicht den leisesten Zweifel …
    III
    Er blieb allerdings unauffindbar, und es hätte keinen Sinn gehabt, ihn in seiner Wohnung zu suchen; es war kaum vorstellbar, daß er sich einfach auf den Heimweg gemacht hätte. Plötzlich blitzte ein Gedanke vor mir auf, und ich eilte Hals über Kopf zu Anna Andrejewna.
    Anna Andrejewna war schon zurückgekehrt, und ich durfte sofort zu ihr. Ich trat ein, möglichst beherrscht. Ohne mich zu setzen, schilderte ich ihr unmittelbar die Szene, die sich soeben abgespielt hatte, das heißt eben den »Doppelgänger«. Niemals werde ich ihr diese gierige, aber erbarmungslos ungerührte und selbstsichere Neugierde verzeihen, mit der sie mich anhörte, ebenfalls im Stehen.
    »Wo ist er? Wissen Sie es vielleicht?« schloß ich nachdrücklich. »Gestern hat mich Tatjana Pawlowna zu Ihnen geschickt …«
    »Ich hatte Sie schon gestern erwartet. Gestern war er in Zarskoje und auch bei mir. Und jetzt« (mit einem Blick auf die Uhr), »jetzt ist es sieben … also ist er bestimmt zu Hause.«
    »Ich sehe, daß Sie alles wissen – also sprechen Sie, sprechen Sie doch!« rief ich.
    »Ich weiß vieles, aber alles weiß ich nicht. Natürlich braucht man vor Ihnen nichts zu verheimlichen …«
    Sie musterte mich mit einem eigentümlichen Blick, lächelnd und offensichtlich überlegend. »Gestern vormittag hat er Katerina Nikolajewna als Antwort auf ihren Brief einen formellen Heiratsantrag gemacht.«
    »Das ist nicht wahr!« Ich riß die Augen auf.
    »Der Brief ist durch meine Hände gegangen; ich, ich persönlich habe ihn überbracht, versiegelt, dieses Mal hat er ›ritterlich‹ gehandelt und nichts vor mir verheimlicht.«
    »Anna Andrejewna, ich verstehe überhaupt nichts!«
    »Natürlich ist es schwer zu verstehen, aber das ist nun einmal die Art des Spielers, der seinen letzten Dukaten auf den Tisch wirft und in der Tasche den schon entsicherten Revolver hält – sein Heiratsantrag entspricht diesem Beispiel. Neun von zehn Chancen stehen dafür, daß sie seinen Heiratsantrag ablehnt; aber auf dieses eine Zehntel hat er offenbar gehofft, und ich muß zugeben, daß ich dies sehr interessant finde, obwohl es sich auch um eine Besessenheit handeln könnte, eben um jenen ›Doppelgänger‹, wie Sie sich soeben so treffend ausgedrückt haben.«
    »Sie lachen? Kann ich denn glauben, daß der Brief durch Ihre Hände gegangen und von Ihnen überreicht worden ist? Sie sind doch die Braut ihres Vaters? Erbarmen, Anna Andrejewna!«
    »Er bat mich, mein Schicksal seinem Glück zu opfern, übrigens war es strenggenommen keine Bitte. Alles ging ziemlich wortlos vonstatten, ich habe nur in seinen Augen gelesen. Ach, mein Gott, es gab doch Schlimmeres:

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