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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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mit mir zu leben, wir wollen uns niemals wiedersehen; ich werde Ihr Sklave sein – wenn Sie mich rufen, und auf der Stelle verschwinden, wenn Sie mich weder sehen noch hören wollen, nur … nur dürfen Sie niemand heiraten! «
    Mein Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen, als ich solche Worte vernahm. Diese naiv erniedrigende Bitte war um so jämmerlicher, verwundete um so tiefer das Herz, da sie so nackt und unmöglich war. Ja, natürlich, er bettelte um ein Almosen! Konnte er denn hoffen, sie würde darauf eingehen? Indessen erniedrigte er sich zu einem Versuch: Er ging das Risiko ein, sie zu bitten! Diese letzte Stufe der Mutlosigkeit war kaum zu ertragen. Ihr Gesicht war plötzlich vor Schmerz wie entstellt; aber bevor sie auch nur ein Wort hervorbringen konnte, hatte er sich plötzlich schon anders besonnen:
    »Ich werde Sie vertilgen!« sagte er mit einer eigentümlichen, plötzlich entstellten, irgendwie fremden Stimme.
    Aber sie antwortete ebenso eigentümlich, mit einer ebenso irgendwie fremden, unerwarteten Stimme:
    »Wenn ich Ihnen ein Almosen reichen würde«, sagte sie plötzlich sehr bestimmt, »so würden Sie sich dafür noch ärger an mir rächen, als Sie es jetzt androhen, weil Sie niemals vergessen werden, daß Sie vor mir so bettelarm dagestanden haben … Ich will Ihre Drohungen nicht hören!« schloß sie beinahe zornig und warf ihm einen fast herausfordernden Blick zu.
    »Ihre Drohungen, das heißt die eines Bettlers! Es war ein Scherz, ein böser Scherz«, sagte er leise und lächelte. »Ich tue Ihnen nichts, haben Sie keine Angst, gehen Sie … und jenes Dokument sollen Sie bekommen. Ich werde alles dafür tun, um es Ihnen zuzuschicken – aber gehen Sie, gehen Sie! Ich habe Ihnen einen dummen Brief geschrieben, und Sie haben den dummen Brief beantwortet und sind gekommen – wir sind quitt. Hierher, bitte«, er wies auf die Tür (sie wollte schon durch jenes Zimmer gehen, in dem ich hinter der Portiere stand).
    »Vergeben Sie mir, wenn Sie können.« Sie blieb in der Tür einen Augenblick stehen.
    »Und wie, wenn wir uns einmal als richtige Freunde begegnen und uns auch an diese Szene fröhlich lachend erinnern?« fragte er plötzlich; aber alle Züge seines Gesichts waren verzerrt wie bei einem Menschen, der mit einem Anfall kämpft.
    »Oh, gebe es Gott!« rief sie und faltete die Hände vor der Brust, aber ohne den prüfenden Blick von seinem Gesicht zu lassen, als rätsele sie, wie er es gemeint hätte.
    »Gehen Sie. Gescheit sind wir beide, aber Sie … Oh, Sie – Sie sind ein Mensch meines Schlages! Ich habe einen verrückten Brief geschrieben, und Sie waren bereit zu kommen, um zu sagen, daß Sie ›mich fast lieben‹. Nein, Sie und ich, wir leben beide in demselben Wahn! Behalten Sie für immer Ihren Wahn, ändern Sie sich nicht, und wir werden uns als Freunde begegnen – das prophezeie, das schwöre ich Ihnen!«
    »Und dann werde ich Sie unbedingt lieben, weil ich es jetzt schon fühle!« Die Frau in ihr konnte sich nicht beherrschen und warf ihm diese letzten Worte von der Schwelle aus zu.
    Sie ging hinaus. Ich lief eilig und unhörbar in die Küche und rannte, ohne Nastassja Jegorowna, die auf mich gewartet hatte, auch nur eines Blicks zu würdigen, über die Hintertreppe und durch den Hof auf die Straße. Aber ich konnte nur sehen, wie sie in eine Droschke stieg, die an der Vortreppe auf sie gewartet hatte. Ich rannte die Straße hinunter.

Elftes Kapitel
    I
    Ich rannte zu Lambert. Oh, wie wünschte ich, wenigstens eine Spur von gesundem Menschenverstand in meinem Verhalten an diesem Abend und dieser ganzen Nacht zu entdecken und es in eine logische Form zu bringen, aber sogar jetzt, da ich alles überschaue, bin ich keineswegs imstande, mir die Sache in dem gehörigen klaren Zusammenhang vorzustellen. Da war ein Gefühl oder, besser gesagt, ein ganzes Chaos von Gefühlen, in denen ich mich natürlich verlaufen mußte. Freilich, es gab ein dominierendes Gefühl, das mich bedrückte und alles beherrschte, aber … muß ich es gestehen? Zumal ich nicht überzeugt bin, daß …
    Als ich bei Lambert hereinstürzte, war ich, versteht sich, völlig außer mir. Ich jagte ihm und Alphonsinka sogar einen ordentlichen Schrecken ein. Ich habe stets beobachtet, daß sogar die liederlichsten und verkommensten Franzosen in ihrem Hauswesen übermäßig zu einer bürgerlichen Ordnung neigen, zu einer Ritualisierung des prosaischen Alltags einer einmal für immer geheiligten

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