Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
und war von dem unwiderstehlichen Wunsch beseelt, mich endgültig auszusprechen. Als Lambert eine neue Flasche holen ging, spielte Alphonsinka auf der Gitarre irgendein spanisches Motiv; es fehlte nicht viel, und ich wäre in Tränen ausgebrochen.
»Lambert, du sollst alles wissen!« rief ich im Überschwang des Gefühls. »Dieser Mann muß unbedingt gerettet werden, weil er rundum … von Hexerei umgeben ist. Wenn sie ihn heiratete, würde er sie am Morgen, nach der ersten Nacht, mit Fußtritten aus dem Haus jagen … so etwas kommt vor. Weil eine solche gewalttätige, ungezähmte Liebe sich wie ein Anfall auswirkt, wie eine Würgeschlinge, wie eine Krankheit, aber kaum ist die Befriedigung erreicht, fällt die Binde sofort von den Augen, und in der Seele steigt das entgegengesetzte Gefühl auf: Widerwille und Haß, ein Wunsch zu zerstören, zu zertreten. Kennst du die Geschichte von Abisag , Lambert, hast du sie gelesen?«
»Nein, ich weiß nicht mehr; ein Roman?« murmelte Lambert.
»Oh, du weißt gar nichts, Lambert! Du bist furchtbar, furchtbar ungebildet … aber das ist mir egal. Oh, er liebt Mama; er hat ihr Porträt geküßt; er wird die andere am nächsten Morgen herausschmeißen und selbst zu Mama kommen; aber dann ist es zu spät, deshalb muß er jetzt gerettet werden …«
Schließlich begann ich bitterlich zu weinen, redete aber immer weiter und trank entsetzlich viel. Das Besondere an diesem Abend war, daß Lambert nicht ein einziges Mal auf das »Dokument« zu sprechen kam, das heißt, fragte: Wo befindet es sich eigentlich? Das heißt, die Aufforderung, es ihm zu zeigen, auf den Tisch zu legen. Was wäre wohl natürlicher gewesen, als danach zu fragen, da wir unser Vorgehen gemeinsam geplant hatten? Und noch etwas Besonderes: Wir sprachen nur davon, daß wir »dies« unbedingt tun wollten, aber davon, wo, wie und wann es geschehen sollte – auch darüber fiel kein einziges Wort! Er nickte nur bestätigend und tauschte Blicke mit Alphonsinka – das war alles! Natürlich konnte ich damals keine Schlüsse daraus ziehen, aber bemerkt hatte ich es doch.
Es endete damit, daß ich bei ihm auf dem Sofa einschlief, ohne meine Kleider abzulegen. Ich schlief sehr lange und wachte sehr spät auf. Ich weiß noch, daß ich nach dem Aufwachen eine gewisse Zeit wie betäubt auf dem Sofa lag und mir die erdenklichste Mühe gab, mich an alles zu erinnern, wobei ich mich immer noch schlafend stellte. Aber Lambert war im Zimmer nicht mehr zu sehen: Er mußte schon gegangen sein. Es war schon bald zehn; der angeheizte Ofen prasselte, genauso wie damals, als ich mich nach jener Nacht zum ersten Mal bei Lambert wiederfand. Hinter dem Wandschirm wachte Alphonsinka über mich: Das fiel mir sofort auf, weil sie ein paar Mal den Kopf hervorstreckte und nach mir schielte, aber ich schloß jedes Mal die Augen und stellte mich noch schlafend. Ich tat es deshalb, weil ich bedrückt war und weil ich über meine Lage nachdenken mußte. Ich empfand nichts als Entsetzen über die Unsinnigkeit meiner abscheulichen nächtlichen Beichte vor Lambert, unserer Absprache und meines Fehlers, daß ich zu ihm gelaufen war! Aber, Gott sei Dank, das Dokument war immer noch da, immer noch in meine Seitentasche eingenäht; ich tastete mit der Hand – da war es! Also galt es, sofort aufzuspringen und zu fliehen, mich vor Lambert zu schämen brauchte ich nicht: Lambert war es nicht wert.
Aber ich schämte mich vor mir selbst! Ich war mein eigener Richter und, o Gott, wie ging es in meiner Seele zu! Aber ich möchte diese höllische, unerträgliche Empfindung und dieses Bewußtsein von Schmutz und Widerwärtigkeit nicht beschreiben. Aber dennoch muß ich ein Geständnis machen, weil, wie ich glaube, die Zeit dazu gekommen ist. In meinen Aufzeichnungen muß es seinen Platz finden. Alle mögen also wissen, daß ich keineswegs deshalb ihren Ruf ruinieren und Augenzeuge davon werden wollte, wie sie Lambert ihren Preis entrichtet (oh, diese Niedrigkeit!) – keineswegs deshalb, um den rasenden Werssilow zu retten und ihn Mama wiederzugeben, sondern deshalb … weil ich vielleicht selbst in sie verliebt war, verliebt und eifersüchtig! Auf wen eifersüchtig – auf Bjoring, auf Werssilow? Auf alle, die sie auf einem Ball ansehen und mit denen sie plaudern wird, während ich in der Ecke stehen und mich vor mir selbst schämen werde? … Oh, diese Ungestalt!
Kurz, ich weiß nicht, auf wen ich ihretwegen eifersüchtig war; aber ich empfand
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