Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
einzig und allein und hatte mich am gestrigen Abend davon überzeugen können, wie zwei mal zwei gleich vier, daß sie für mich verloren war, daß diese Frau mich von sich stoßen und wegen meines falschen und absurden Spiels verhöhnen wird! Sie – die so echt und ehrlich ist, und ich – ich bin ein Spion und unterschlage Dokumente!
All das hatte ich seit damals in meinem Herzen verborgen, aber jetzt ist die Zeit gekommen, und ich – ich muß das Fazit ziehen. Aber wiederum, nun zum letzten Mal: Ich habe mich vielleicht zur Hälfte oder sogar zu fünfundsiebzig Prozent verleumdet! In jener Nacht habe ich sie gehaßt wie ein Rasender und dann wie ein tobsüchtiger Betrunkener. Ich sagte schon, daß es ein Chaos von Gefühlen und Empfindungen war, in dem ich mich selbst nicht mehr zurechtfinden konnte. Aber wie auch immer, sie mußten ausgesprochen werden, weil doch wenigstens ein Teil dieser Gefühle nicht zu verleugnen war.
Mit unüberwindlichem Abscheu und dem unüberwindlichen Wunsch, alles wieder ins Lot zu bringen, sprang ich plötzlich vom Diwan auf; aber kaum stand ich auf den Beinen, als Alphonsinka hervorschoß. Ich packte Pelz und Kappe und befahl ihr, Lambert auszurichten, ich hätte gestern im Fieber phantasiert, hätte eine Frau verleumdet, hätte mir absichtlich einen Spaß geleistet, und Lambert solle nur ja nicht wagen, jemals bei mir zu erscheinen … All das brachte ich mehr schlecht als recht vor, mich verhaspelnd, auf Französisch, selbstverständlich völlig unklar, aber zu meinem Erstaunen verstand mich Alphonsinka Wort für Wort; sie schien sich sogar über etwas zu freuen, das war das Erstaunlichste.
»Oui, oui«, sie nickte mir wiederholt zu, »c’est une honte! Une dame … Oh, vous êtes généreux, vous! Soyez tranquille, je ferai voir raison à Lambert … «
Also hätte ich sogar in jenem Augenblick noch staunen und stutzig werden können, angesichts einer solch mirakulösen Wandlung von ihren, möglicherweise auch Lamberts, Gefühlen. Doch ich ging hinaus; in meiner Seele war es trübe, und das Denken fiel mir schwer! Oh, nachher ging mir alles auf, aber da war es bereits zu spät! Oh, es handelte sich um eine höllische Manipulation! Ich mache hier kurz halt und erkläre sie vorab, weil der Leser sonst unmöglich folgen kann.
Damals, bei meiner ersten Begegnung mit Lambert, als ich in seiner Behausung auftaute, habe ich ihm wie ein Idiot murmelnd anvertraut, in meiner Tasche sei ein Dokument eingenäht. Als ich plötzlich bei ihm auf der Sofaecke eingeschlafen war, tastete Lambert unverzüglich meine Tasche ab und überzeugte sich, daß darin tatsächlich ein Papier eingenäht war. Später hat er sich mehrmals vergewissert, daß dieses Papier noch vorhanden war: Zum Beispiel hatte er während unseres Essens bei den Tataren, wie ich mich erinnere, mich mehrmals um die Taille gefaßt. Als er endlich die Wichtigkeit dieses Papiers begriffen hatte, schmiedete er einen eigenen, besonderen Plan, den ich bei ihm nicht einmal vermuten konnte. Ich hatte mir die ganze Zeit wie ein Narr eingebildet, daß er mich einzig deshalb so dringend bei sich sehen wollte, um mich als Compagnon anzuwerben und ausschließlich gemeinsam zu handeln. O weh! Er hatte mich mit einer ganz anderen Absicht zu sich gelockt! Er lud mich ein, um mich sinnlos betrunken zu machen und dann, sobald ich mich kraftlos ausstrecke und zu schnarchen beginne, meine Tasche aufzutrennen und sich des Dokuments zu bemächtigen. Genauso waren beide, Alphonsinka und er, in jener Nacht verfahren; Alphonsinka war es, die meine Tasche aufgetrennt hatte. Als sie den Brief, ihren Brief, mein Moskauer Dokument, herausgeholt hatten, nahmen sie einen Bogen einfaches Briefpapier vom selben Format, schoben es durch die aufgetrennte Stelle in die Tasche und nähten sie wieder zu, es war nichts zu sehen, so daß es mir nicht auffallen konnte. Alphonsinka war es, die sie wieder zugenäht hatte. Ich aber, ich dachte bis kurz vor dem Ende, noch ganze anderthalb Tage lang, ich aber dachte immer noch, daß ich im Besitz des Geheimnisses und daß das Schicksal Katerina Nikolajewnas immer noch in meiner Hand sei!
Ein letztes Wort: Dieser Diebstahl des Dokuments war die Ursache für alles Folgende, für alles weitere Unglück!
II
Nun beginnen die letzten vierundzwanzig Stunden meiner Aufzeichnungen, und ich stehe am Ende des Endes!
Es war, glaube ich, etwa halb elf, als ich erregt und, wie ich mich erinnere, merkwürdig zerstreut,
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