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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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einfach um, aber ohne zu drohen und ohne sich vor meinen Augen selbst zu zerfleischen.« Sie verstummte und richtete einen eigenartig erwartungsvollen Blick auf ihn, als rechne sie wirklich damit, daß er sie umbringen könnte. Er erhob sich wieder von seinem Stuhl und sagte, den glühenden Blick auf sie gerichtet, mit fester Stimme:
    »Sie werden diesen Raum verlassen, ohne daß man Ihnen im mindesten zu nahe tritt.«
    »Ach ja, Ihr Ehrenwort!« Sie lächelte.
    »Nein, nicht nur, weil Sie mein Ehrenwort im Brief haben, sondern auch, weil ich die ganze Nacht an Sie denken will und denken werde …«
    »Um sich zu quälen?«
    »Ich stelle Sie mir immer vor, wenn ich allein bin. Ich tue ja nichts anderes, als mich mit Ihnen zu unterhalten. Ich ziehe mich in Spelunken und Bärenhöhlen zurück, und als Kontrast erscheinen Sie augenblicklich vor mir. Aber Sie lachen immer über mich, so auch jetzt …« Es klang, als sei er nicht bei sich.
    »Nein, niemals habe ich über Sie gelacht!« rief sie ergriffen und in größtem Mitleid aus, das sich in ihrem Gesicht spiegelte. »Ich bin gekommen, aber ich habe mich aus allen Kräften bemüht, es so zu tun, daß es für Sie nicht im geringsten kränkend wäre«, fügte sie plötzlich hinzu, »ich bin hierhergekommen, um Ihnen zu sagen, daß ich Sie fast liebe … Verzeihen Sie, vielleicht habe ich das nicht richtig ausgedrückt«, fügte sie hastig hinzu.
    Er lachte.
    »Warum können Sie sich nicht verstellen? Warum sind Sie die heilige Einfalt in Person? Warum sind Sie anders als alle anderen? … Wie kann man einem Menschen, den man vor die Tür setzt, sagen: ›… daß ich Sie fast liebe‹?«
    »Ich habe mich nur unglücklich ausgedrückt«, korrigierte sie sich eilig, »ich habe etwas anderes gemeint; das kommt daher, daß ich mich in Ihrer Gegenwart immer beim Sprechen genierte und nicht die richtigen Worte fand, von unserer ersten Begegnung an. Und wenn die Worte, daß ich Sie ›fast liebe‹, nicht richtig waren, so waren die Gedanken fast richtig – und deshalb habe ich es gesagt, obwohl ich Sie mit einer solchen … nun, mit einer solchen allgemeinen Liebe liebe, mit der man alle Menschen liebt und zu der man sich jederzeit, ohne Peinlichkeit, bekennen kann …«
    Er hörte schweigend zu, ohne seinen heißen Blick von ihr zu wenden.
    »Natürlich beleidige ich Sie«, fuhr er fort, als sei er nicht bei sich, »vermutlich ist es das, was man gemeinhin Leidenschaft nennt … Ich weiß nur, daß es in Ihrer Gegenwart mit mir aus ist; und ohne Sie ebenfalls. Es ist ganz gleich, ob Sie nicht da sind oder da sind, wo Sie auch sein mögen – Sie sind immer bei mir. Ich weiß auch, daß ich Sie glühend hassen kann, heftiger, als lieben … Übrigens denke ich schon lange nichts mehr – mir ist alles gleich. Ich bedaure nur, daß ich eine solche wie Sie lieben muß.«
    Seine Stimme versagte; er fuhr fort, als bekäme er keine Luft.
    »Was wollen Sie mehr? Wundern Sie sich, daß ich so rede?« Er lächelte ein bleiches Lächeln. »Ich glaube, daß ich irgendwo dreißig Jahre lang als Säulenheiliger auf einem Bein stehen würde, wenn ich Sie damit gewinnen könnte. Ich sehe: Ich tue Ihnen leid; Ihr Gesicht sagt: ›Ich würde dich lieben, wenn ich es könnte, aber ich kann es nicht.‹ … Ja? Macht nichts, ich habe keinen Stolz. Ich bin bereit, wie ein Bettler jede milde Gabe von Ihnen anzunehmen – hören Sie, jede … steht denn einem Bettler Stolz zu?«
    Sie erhob sich und trat vor ihn hin.
    »Mein Freund«, sagte sie, indem sie mit der Hand seine Schulter mit einem unbeschreiblichen Gesichtsausdruck berührte, »ich kann solche Worte nicht hören! Ich werde mein Leben lang an Sie denken als an den kostbarsten Menschen, als an das weiteste Herz, an das Heiligste von allem, was ich achten und lieben kann. Andrej Petrowitsch, verstehen Sie meine Worte: Es muß doch einen Grund geben, weshalb ich jetzt gekommen bin, mein lieber, früher und immer noch lieber Mensch! Ich werde nie vergessen, wie Sie mein Denken bei unseren ersten Begegnungen erschüttert haben. Wir wollen als Freunde auseinandergehen, und Sie werden mein ganzes Leben lang die ernsteste und herzlichste Erinnerung bleiben!«
    »›Gehen wir auseinander, und dann werde ich Sie lieben‹, ich werde Sie lieben – wenn wir nur auseinandergehen. Hören Sie«, brachte er hervor, weiß wie ein Leintuch, »reichen Sie mir noch eine milde Gabe. Sie brauchen mich nicht zu lieben. Sie brauchen nicht

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