Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
würde sie über den Rahmen eines Briefes hinausgehen, und zweitens – fühle ich mich selbst noch nicht imstande, darauf zu antworten, und müßte das alles erst selbst verdaut haben. Ich kann nur bemerken, daß sich Ihre ›Idee‹ durch Originalität auszeichnet, während die Jugend von heute sich größtenteils nicht für selbsterfundene, sondern für vorgegebene begeistert, deren Vorrat keineswegs bedeutend ist, und häufig sogar gefährlich. Zum Beispiel hat Ihre ›Idee‹ Sie wenigstens eine Zeitlang vor den Ideen der Herren Dergatschow und Co. bewahrt, die fraglos bei weitem nicht so originell sind wie Ihre. Und schließlich bin ich unbedingt mit der Meinung der hochverehrten Tatjana Pawlowna einverstanden, die ich zwar persönlich kennengelernt, aber bis jetzt noch nicht in dem Maße geschätzt habe, wie sie es verdient. Ihr Gedanke, daß Sie ein Universitätsstudium beginnen sollen, ist für Sie unbedingt förderlich. Die Wissenschaft und das Leben werden fraglos in drei bis vier Jahren den Horizont Ihrer Gedanken und Ihres Strebens bedeutend erweitern, und wenn Sie nach beendetem Studium den Wunsch haben sollten, sich wieder Ihrer ›Idee‹ zuzuwenden, so wird dem nichts im Wege stehen.
Jetzt gestatten Sie mir, Ihnen auch ungebeten einige Gedanken und Eindrücke zu unterbreiten, die bei der Lektüre Ihrer so offenherzigen Aufzeichnungen mir durch den Kopf und die Seele gezogen sind. Ja, ich stimme mit Andrej Petrowitsch überein, daß man sich für Sie und Ihre einsame Jugend hätte Sorgen machen müssen. Und solche Jünglinge wie Sie sind nicht selten, und ihre Fähigkeiten drohen in der Tat, sich stets zum Negativen zu entwickeln, entweder in Richtung der Moltschalinschen Unterwürfigkeit oder in den heimlichen Wunsch nach Unordnung. Aber dieser Wunsch nach Unordnung, entsteht er – und sogar häufiger als alles andere – nicht aus dem heimlichen Verlangen nach Ordnung und ›Wohlgestalt‹ (ich benutze Ihren Ausdruck)? Die Jugend ist schon allein darum rein, weil sie Jugend ist. Vielleicht verbirgt sich in diesen Exzessen gerade dieser Durst nach Ordnung und dieses Streben nach Wahrheit, und wer ist daran schuld, daß manche junge Menschen diese Wahrheit und diese Ordnung in so dummen und lächerlichen Dingen zu sehen glauben, daß man gar nicht begreift, wie sie daran glauben konnten! Ich bemerke bei dieser Gelegenheit, daß früher, in einer gar nicht so fernen Vergangenheit, nur eine Generation vorher, solche interessanten Jünglinge keineswegs bedauert werden mußten, weil sie damals fast alle damit endeten, daß sie sich mit Erfolg unserer höchsten kultivierten Schicht anschlossen und mit ihr zu einem Ganzen verschmolzen. Und wenn sie sich auch anfangs, zu Beginn ihres Weges, der eigenen Zufälligkeit und Ordnungslosigkeit bewußt wurden, des Fehlens von Vornehmheit schon innerhalb ihrer Familie, des Fehlens von Familientradition und von schönen vollendeten Formen, so war das sogar günstiger, denn sie haben später, nun bewußt, danach gestrebt und dadurch sich gewöhnt, sie zu schätzen. Heute verhält sich das etwas anders – und gerade deshalb, weil es fast nichts mehr gibt, woran man sich anschließen kann.
Ich möchte es durch einen Vergleich oder, sozusagen, eine Analogie erklären. Wenn ich ein russischer Romancier und talentiert wäre, würde ich meine Helden unbedingt aus dem russischen Erbadel rekrutieren, weil allein in diesem Typus des kultivierten Russen wenigstens der Schein einer schönen Ordnung und eines schönen Eindrucks sich findet, der im Roman für die ästhetische Wirkung auf den Leser so unabdingbar ist. Indem ich das sage, meine ich es durchaus ernst, wiewohl ich selbst keineswegs ein Adeliger bin, was Ihnen gewiß bekannt ist. Schon Puschkin hat die Sujets für seine künftigen Romane in den ›Überlieferungen russischer Familien‹ gesucht, und glauben Sie mir, daß darin alles zu finden ist, was wir bis jetzt an Schönem hatten. Jedenfalls findet sich hier alles, was wir an Vollendetem hervorgebracht haben. Ich sage das nicht deshalb, weil ich bedingungslos mit der Richtigkeit und Wahrheit dieser Schönheit übereinstimmen würde; aber hier gab es zum Beispiel in sich geschlossene Formen von Ehre und Pflicht, was im alten Rußland außerhalb des Adels weder im anfänglichen noch im vollendeten Stadium anzutreffen ist. Ich sage das als ein ruhiger und ruhesuchender Mensch.
Ob nun diese Ehre etwas Schönes und die Pflicht etwas Gutes ist – das ist eine
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