Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Dieser vernünftige Mensch soll die genauesten Erklärungen abgegeben und die interessantesten Mitteilungen gemacht haben, die ihn in den Augen der Personen, von denen sein Schicksal abhing, völlig rechtfertigten. Auch stellte sich sein oft erwähntes Manuskript lediglich als eine Übersetzung aus dem Französischen heraus, sozusagen als Material, einzig und allein für den eigenen Gebrauch gesammelt, in der Absicht, es später für einen nützlichen Zeitungsartikel zu verwenden. Er hat sich jetzt in das Gouvernement … begeben, aber sein Stiefvater Stjebelkow sitzt immer noch im Gefängnis, in einer Angelegenheit, die, wie ich höre, immer weitreichender und verwickelter wird. Lisa hörte die Nachricht über Wassin mit einem sonderbaren Lächeln an und bemerkte sogar, daß es mit ihm unbedingt so habe kommen müssen. Aber sie war sichtlich zufrieden – natürlich darüber, daß die Einmischung des verstorbenen Fürsten Sergej Petrowitsch Wassin nicht geschadet hatte. Über Dergatschow und die anderen kann ich hier gar nichts sagen.
Ich bin am Ende angelangt. Vielleicht wünscht mancher Leser zu erfahren: Wo ist denn meine »Idee« geblieben, und was ist dieses neue, für mich gerade beginnende Leben, das ich so rätselhaft ankündige? Aber dieses neue Leben, dieser neue, sich mir eröffnende Weg ist nichts anderes als eben meine »Idee«, dieselbe wie auch früher, nur in einer vollkommen anderen Form, so daß sie nicht mehr zu erkennen ist. Aber in meine »Aufzeichnungen« kann ich das nicht mehr aufnehmen, weil es schon etwas gänzlich anderes ist. Das alte Leben ist völlig in die Ferne gerückt, und das neue hat kaum begonnen. Aber etwas Notwendiges muß noch gesagt werden: Tatjana Pawlowna, meine aufrichtig geliebte Freundin, läßt mir kaum einen Tag Ruhe mit ihren Ermahnungen, mich baldmöglichst auf der Universität einzuschreiben: »Später, wenn dein Studium zu Ende ist, dann kannst du weiterspinnen, jetzt aber lerne erst fertig.« Ich gestehe, daß ich über ihren Vorschlag nachdenke, aber überhaupt keine Ahnung habe, wofür ich mich entscheiden soll. Einstweilen habe ich ihr entgegnet, daß ich jetzt zum Studium nicht einmal berechtigt sei, weil ich für Mamas und Lisas Unterhalt aufkommen und arbeiten müsse; sie aber stellt ihr eigenes Geld dafür zur Verfügung und versichert, daß es für die Dauer meines Universitätsstudiums ausreichen würde. Schließlich habe ich mich entschlossen, einen Menschen um Rat zu bitten. Nachdem ich mich umgesehen hatte, habe ich diesen Menschen mit Bedacht und kritisch ausgewählt. Es ist Nikolaj Semjonowitsch, mein ehemaliger Erzieher in Moskau, der Gatte Marja Iwanownas. Nicht, daß ich auf einen Rat angewiesen wäre, aber ich hatte einfach den dringenden Wunsch, die Meinung dieses völlig außenstehenden und sogar etwas kühlen Egoisten, aber unbestreitbar klugen Mannes zu hören. Ich schickte ihm mein komplettes Manuskript, indem ich um Diskretion bat, insbesondere gegenüber Tatjana Pawlowna, weil ich es noch keinem Menschen gezeigt hätte. Das abgesandte Manuskript kam zwei Wochen später zurück, begleitet von einem recht umfangreichen Brief. Aus diesem Brief bringe ich nur einige Auszüge, in denen ich gewissermaßen einen allgemeinen Blickwinkel und gleichsam etwas Einleuchtendes finde. Hier diese Auszüge.
III
»… Und niemals hätten Sie, unvergeßlicher Arkadij Makarowitsch, Ihre temporäre Muße auf eine bessere Weise ausnützen können, als indem Sie Ihre ›Aufzeichnungen‹ niederschrieben! Sie haben vor sich selbst eine sozusagen bewußte Konfession über die ersten stürmischen und risikoreichen Schritte auf Ihrer Lebensbahn abgelegt. Ich glaube fest, daß Sie mit dieser Darstellung in vielen Dingen tatsächlich ›sich selbst umerzogen haben‹, so Ihr eigener Ausdruck. Eigentlich kritische Bemerkungen werde ich mir selbstverständlich auf gar keinen Fall erlauben: Obwohl jede Seite Stoff zum Nachdenken böte … zum Beispiel der Umstand, daß Sie so lange und so hartnäckig das ›Dokument‹ bei sich behalten haben – ein höchst charakteristischer Umstand … Aber dies ist unter Hunderten nur eine Bemerkung, die ich mir erlaube. Ich weiß es auch sehr zu schätzen, daß Sie sich entschlossen haben, mir und, wie es scheint, mir allein das ›Geheimnis Ihrer Idee‹ anzuvertrauen, nach Ihren eigenen Worten. Ihre Bitte aber, Ihnen meine Meinung, insbesondere über Ihre Idee, mitzuteilen, muß ich entschieden abschlagen: Denn erstens
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