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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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Zugegeben, ich grollte insgeheim, als ich mich damals nach Petersburg auf den Weg machte: Kaum hatte ich das Gymnasium hinter mir, kaum durfte ich mich zum ersten Mal frei fühlen, als ich plötzlich entdeckte, daß Werssilows Angelegenheiten von neuem mich eine ungewisse Zeit von meinen Angelegenheiten abhalten würden! Aber obwohl ich grollte, reiste ich doch in größter Seelenruhe meinem Ziel entgegen.
    Zugegeben, mir fehlte die Praxis, aber ich hatte drei Jahre lang überlegt, und irgendwelche Zweifel waren ausgeschlossen. Ich hatte mir tausendmal ausgemalt, wie ich anfangen wollte: Ich finde mich plötzlich wie vom Himmel gefallen in einer unserer beiden Metropolen (ich hatte für den Anfang unsere Metropolen gewählt, und zwar Petersburg, dem ich aus einem gewissen Grund den Vorzug gab); ich finde mich also wie vom Himmel gefallen, aber vollkommen frei, von niemand abhängig, gesund und habe hundert Rubel in der Tasche als Anfangskapital. Ohne hundert Rubel Anfangskapital ist ein Beginn unmöglich, da dann sogar der allererste Erfolg eine allzu lange Zeit auf sich warten lassen müßte. Außer den hundert Rubeln standen mir, wie schon bekannt, Mut, Beharrlichkeit, Stetigkeit, strengste Abgeschiedenheit und Geheimhaltung zu Gebote. Strengste Abgeschiedenheit: das war die Hauptsache; so lange wie möglich hatte ich Beziehungen, welcher Art auch immer, oder Verbindungen mit Menschen regelrecht gehaßt; allgemein gesagt, war mein Entschluß, meine »Idee« unter allen Umständen im Alleingang durchzuführen, unerschütterlich, das war für mich das sine qua. Der Umgang mit Menschen fällt mir schwer, ich würde unruhig werden und die Unruhe das Ziel beeinträchtigen. Und überhaupt, das gilt heute noch, mein Leben lang waren alle meine Träume von meinem künftigen Umgang mit Menschen stets außerordentlich vernünftig; aber sobald sie Wirklichkeit wurden – immer ausgesprochen sehr dumm. Ich gebe es hier mit höchstem Unwillen und völlig aufrichtig zu, daß ich mich stets mit meinen eigenen Worten bloßgestellt, mich übereilt und deshalb beschlossen hatte, die Menschen zu streichen. Der Gewinn war – Unabhängigkeit, Seelenruhe, klares Bewußtsein des Ziels.
    Ungeachtet der fürchterlichen Petersburger Preise hatte ich ein für alle Male beschlossen, nie mehr als fünfzehn Kopeken für das Essen auszugeben, und gewußt, daß ich Wort halten würde. Dieses Problem des Essens hatte ich lange und gründlich überdacht; ich nahm mir zum Beispiel vor, mich hin und wieder zwei Tage hintereinander nur von Brot und Salz zu ernähren, um am dritten Tag die Ersparnisse der zwei vergangenen Tage auszugeben; ich glaubte, daß dies für meine Gesundheit zuträglicher sein würde als ein ewiges, gleichmäßiges Fasten in den Grenzen eines Minimums von fünfzehn Kopeken. Des weiteren brauchte ich eine Unterkunft, einen Winkel, buchstäblich nur einen Winkel, nur um nachts auszuschlafen oder bei einem übermäßig verregneten Tag eine Zuflucht zu haben. Ich nahm mir vor, auf der Straße zu leben, und war bereit, zur Not in Nachtasylen zu nächtigen, wo außer einem Lager auch ein Kanten Brot und ein Glas Tee gewährt werden. Oh, mein Geld würde ich meisterlich verstecken, damit es mir weder in dem Winkel noch in einem Asyl gestohlen werden könnte; kein Mensch würde mich ausspionieren, dafür garantierte ich! »Mich könnte man beklauen? Aber ich fürchte nur, ich könnte jemand beklauen«, diesen lustigen Spruch habe ich einst auf der Straße von einem Landstreicher gehört. Selbstverständlich nehme ich daraus nur Vorsicht und Geschicklichkeit in Anspruch, Klauen liegt nicht in meiner Absicht. Noch mehr, schon in Moskau, vielleicht schon am ersten Tag der »Idee«, hatte ich mir vorgenommen, weder ein Pfandschuldner noch ein Pfandleiher zu werden: Dafür gibt es Juden und jene Russen, die weder Verstand noch Charakter besitzen. Pfand und Prozent – das ist die Sache der Mediokrität.
    Was die Kleidung anbelangt, so hatte ich mich für zwei Varianten entschieden: eine alltägliche und eine anständige. Einmal angeschafft, würde ich sie lange tragen, davon war ich überzeugt; zweiundeinhalb Jahre hatte ich geübt, wie man seine Kleidung trägt, und sogar ein Geheimnis entdeckt: Damit ein Kleidungsstück immer neu und nicht abgetragen wirkt, muß es so oft wie möglich gebürstet werden, das heißt fünf- bis sechsmal am Tag. Das Tuch fürchtet nicht die Bürste – das sage ich verbindlich –, sondern Schmutz und

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