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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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Staub. Der Staub ist nichts anderes als Steine, wenn man ihn durchs Mikroskop betrachtet, und die Bürste, sei sie auch noch so hart, immerhin eine Art Haare. Jedenfalls hatte ich gelernt, das Schuhwerk richtig zu tragen: Dieses Geheimnis besteht darin, daß man den Fuß bewußt mit der ganzen Sohle aufsetzt und möglichst vermeidet, sie seitlich zu belasten. So etwas lernt sich in zwei Wochen, und später wird das völlig unbewußt. Auf diese Weise können Stiefel im Durchschnitt ein Drittel der Zeit länger getragen werden – die Erfahrung von zwei Jahren. Darauf konnte das eigentliche Werk beginnen.
    Ich bin von folgender Vorstellung ausgegangen: Ich besitze hundert Rubel. In Petersburg gibt es so viele Auktionen, Ausverkäufe, kleine Buden auf dem Trödelmarkt und auch Notleidende, daß es unmöglich ist, einen Gegenstand, den man für einen gewissen Betrag erworben hat, nicht etwas teurer zu verkaufen. Bei dem Album machte ich sieben Rubel fünfundneunzig Kopeken Profit, bei zwei Rubeln fünf Kopeken investierten Kapitals. Diesen ungeheuren Profit machte ich ohne jedes Risiko: Ich konnte dem Käufer an den Augen ablesen, daß er nicht zurücktreten würde. Selbstverständlich weiß ich bestimmt, daß dies nur Zufall war, aber ich bin ja gerade auf solche Zufälle aus und habe auch deswegen beschlossen, auf der Straße zu leben. Klar, solche Zufälle sind sogar sehr selten; das ist egal, die Hauptregel bleibt – kein Risiko; und die zweite – unbedingt an jedem Tag wenigstens etwas über das Minimum hinauszuverdienen, das ich für meinen Lebensunterhalt ausgegeben habe, damit der Kapitalzuwachs nicht einen einzigen Tag unterbrochen wird.
    Man wird mir sagen: Das alles sind Träume, Sie kennen die Straße nicht, und man wird Sie beim ersten Schritt übers Ohr hauen. Aber ich habe Willen und Charakter, und die Schule der Straße ist eine Schule wie jede andere und ist mit Beharren, Aufmerksamkeit und entsprechendem Talent zu bewältigen. Auf dem Gymnasium gehörte ich sogar bis zur siebten Klasse zu den Besten, und in Mathematik war ich sogar sehr gut. Darf man denn die Erfahrung und die Schule der Straße zum alleinigen Götzen erheben, um in jedem Fall einen Mißerfolg zu prophezeien? Das behaupten nur diejenigen, die noch nie, wo auch immer, ein Experiment durchgeführt, die noch nie mit ihrem Leben etwas angefangen, sondern nur im gemachten Bett dahinvegetiert haben. »Wenn einer sich ein blaues Auge holt, wird der andere es auch tun.« Nein, ich werde mir kein blaues Auge holen. Ich habe Charakter, und wenn ich aufpasse, werde ich alles lernen. Ja, wie kann man sich überhaupt vorstellen, daß man bei ununterbrochener Beharrlichkeit, bei ununterbrochen wachem Blick, bei ununterbrochener Überlegung und Kalkül, bei unbeschränkter Tätigkeit und Rührigkeit nicht schließlich zu dem Wissen gelangt, wie man täglich seine zwanzig Kopeken mehr verdient? Vor allem beschloß ich, niemals einem Maximum an Profit nachzurennen, sondern stets meine Ruhe zu bewahren. Dann, später, wenn das erste und das zweite Tausend beisammen sind, werde ich ganz von selbst dem Niveau eines Zwischen- und Straßenhändlers entwachsen. Natürlich weiß ich über Börse, Aktien, Bankgeschäfte und Ähnliches viel zuwenig, aber dafür ist es für mich ebenso selbstverständlich wie meine fünf Finger, daß ich all diese Börsen und Banken zur gegebenen Zeit kennenlernen und durchschauen werde wie kaum ein anderer und daß ich zu dieser Wissenschaft auf die einfachste Weise kommen werde, einzig deswegen, weil es soweit sein wird. Braucht man denn dafür etwa so viel Verstand? Ist das vielleicht eine salomonische Weisheit? Man braucht nur den richtigen Charakter; Sachkenntnis, Geschicklichkeit, Wissen kommen von selbst. Wenn man nur nicht aufhört zu »wollen«.
    Vor allem: Nichts riskieren ist eben nur dann möglich, wenn man Charakter hat. Erst kürzlich wurde in Petersburg, schon zu meiner Zeit, eine Zeichnungsliste für Eisenbahnaktien aufgelegt; jene, die damals subskribieren konnten, haben viel verdient. Eine Zeitlang stiegen die Aktien. Wenn jemand, der nicht rechtzeitig subskribiert hätte oder besonders geldgierig gewesen wäre, solche Aktien in meiner Hand gesehen und mir vorgeschlagen hätte, sie ihm zum Preis von so- undsoviel Prozent der Prämie zu verkaufen, hätte ich sie ihm unbedingt sofort verkauft. Natürlich hätte man mich ausgelacht: Man hätte warten und dann das Zehnfache gewinnen können, würde es heißen.

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