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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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Freund, ich kenne ohnehin das Wesentliche deiner Idee; in jedem Fall ist es:
    In die Öde will ich fliehen …
    Tatjana Pawlowna! Ich denke – er möchte … ein Rothschild werden oder etwas Ähnliches und in seine Größe fliehen. Selbstverständlich wird er uns großmütig eine Pension aussetzen – mir wird er vielleicht nichts aussetzen –, aber in jedem Fall haben wir ihn dann am längsten gesehen. Er ist für uns wie der Neumond – kaum zeigt er sich, schon geht er unter.«
    Ich erschauerte innerlich. Natürlich war es ein Zufall: Er wußte nichts und hatte das Eigentliche überhaupt nicht gemeint, auch wenn er Rothschild erwähnte; aber wie war es möglich, daß er meine Gedanken so treffend charakterisieren konnte: alle Beziehungen mit ihnen abbrechen oder fliehen? Er hatte alles vorausgesehen und wollte mit seinem Zynismus das Tragische der Tatsache zuschmieren. Er war furchtbar erbost, daran gab es keinen Zweifel.
    »Mama! Verzeihen Sie mein Aufbrausen, zudem ist es vor Andrej Petrowitsch ohnehin unmöglich, sich zu verstellen«, lachte ich gezwungen, um alles wenigstens für einen Augenblick als Scherz erscheinen zu lassen.
    »Das Beste, mein Lieber, ist dein Lachen. Man kann es sich kaum vorstellen, wieviel jeder Mensch dadurch gewinnt, sogar in seinem Äußeren. Ich meine das ganz ernst. Er macht immer ein solches Gesicht, Tatjana Pawlowna, als hätte er so etwas Bedeutendes im Kopf, daß dieser Umstand sogar ihn selbst geniert.«
    »Ich möchte Sie, Andrej Petrowitsch, ernstlich um etwas mehr Distanz bitten.«
    »Du hast ganz recht, mein Freund; aber man muß sich ein für allemal aussprechen, um nachher dies alles auf sich beruhen zu lassen. Du bist aus Moskau zu uns gekommen, um sofort zu rebellieren – das ist das einzige, was uns bis jetzt von dem Zweck deines Herkommens bekannt ist. Den Umstand, daß du hierherkamst, um uns irgendwie vor den Kopf zu stoßen – den will ich selbstverständlich gar nicht erwähnen. Und dann – du bist einen ganzen Monat bei uns und fauchst uns an; indessen bist du doch offenbar ein kluger Mensch und hättest dieses Anfauchen jenen überlassen können, die sonst nicht wissen, wie sie sich an der Menschheit für ihre Nichtigkeit rächen sollen. Du bist immer verschlossen, während doch deine roten Backen und das ehrliche Gesicht gerade davon zeugen, daß du mit voller Unschuld jedem in die Augen sehen kannst. Er ist ein Hypochonder, Tatjana Pawlowna; ich verstehe nicht, wieso sie alle heute Hypochonder sind?«
    »Wenn Sie nicht einmal gewußt haben, wo ich aufgewachsen bin, wie sollten Sie wissen, wieso ein Mensch Hypochonder ist?«
    »Aha, das ist des Rätsels Lösung: Du nimmst mir übel, daß ich vergessen konnte, wo du aufgewachsen bist!«
    »Überhaupt nicht, unterstellen Sie mir keine Dummheiten. Mama, Andrej Petrowitsch hat mich vorhin gelobt, weil ich gelacht habe; wir wollen alle lachen – warum sollen wir so herumsitzen? Wenn Sie wünschen, werde ich Ihnen von mir Anekdoten erzählen. Zumal auch Andrej Petrowitsch nichts von meinen Abenteuern weiß.«
    In mir hatte sich viel angesammelt. Ich wußte, daß wir nie wieder so beieinandersitzen würden und daß ich dieses Haus, wenn ich es verließe, niemals mehr betreten würde – und deshalb, am Vorabend, konnte ich mich nicht länger beherrschen. Er selbst hatte mich zu einem solchen Finale herausgefordert.
    »Das ist natürlich sehr nett, wenn es nur wirklich zum Lachen sein wird«, bemerkte er mit einem durchdringenden Blick auf mich, »deine Manieren sind ein wenig grob geworden, mein Freund, dort, wo du aufgewachsen bist, wiewohl sie immer noch ziemlich anständig sind. Er ist heute sehr nett, Tatjana Pawlowna, und Sie tun sehr gut daran, daß Sie diese Tüte endlich öffnen und auspacken.«
    Aber Tatjana Pawlowna ließ sich nicht erheitern; sie blickte bei seinen Worten nicht einmal auf, fuhr weiter fort, die Schnur um die Tüte aufzuknoten und die Leckereien auf die gereichten Teller zu verteilen. Meine Mutter saß ebenfalls völlig unentschlossen da, sie verstand natürlich und ahnte, daß unsere Stimmung nichts Gutes verhieß. Meine Schwester berührte mich wieder am Ellbogen.
    III
    »Ich möchte Ihnen allen einfach erzählen«, begann ich möglichst ungezwungen, »wie ein Vater zum ersten Mal seinem lieben Sohn begegnete; das geschah nämlich ›dort, wo du aufgewachsen bist‹ …«
    »Mein Freund, wird das … nicht langweilig werden? Du weißt doch: tous les genres  …

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