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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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Diesmal tust du sehr gut daran, mich so ausführlich daran zu erinnern, daß …«
    »Ich stand da, betrachtete Sie und rief plötzlich: ›Ach, wie schön, ein echter Tschatzkij!‹ Sie wandten sich plötzlich nach mir um und fragten: ›Kennst du denn schon den Tschatzkij?‹ – setzten sich auf den Diwan und nahmen in der liebenswürdigsten Stimmung Ihren Kaffee zu sich – ich hätte Sie am liebsten abgeküßt. Und dann habe ich Ihnen erzählt, daß bei Andronikows alle sehr viel läsen, daß die jungen Damen sehr viele Gedichte auswendig wüßten und aus ›Verstand schafft Leiden‹ miteinander einzelne Szenen spielten und daß in der ganzen vergangenen Woche alle zusammen die › Aufzeichnungen eines Jägers ‹ laut gelesen hätten, daß ich aber am meisten die Fabeln von Krylow liebte und sie auswendig wüßte. Darauf haben Sie mir befohlen, eine davon vorzutragen, und ich rezitierte Ihnen die ›Wählerische Braut‹:
    Das Mädchen, schon im Heiratsalter, hat sich den
    Freier ausgedacht.«
    »Richtig, richtig, jetzt fällt mir alles wieder ein«, rief abermals Werssilow, »aber, mein Freund, auch dich sehe ich jetzt ganz klar vor mir. Damals warst du ein so reizender kleiner Junge, du warst sogar ein gewandter kleiner Junge, und ich schwöre, daß auch du in diesen neun Jahren einiges verloren hast.«
    Nun brachen alle, sogar Tatjana Pawlowna, in ein lautes Gelächter aus. Es war klar, daß Andrej Petrowitsch sich zu einem Scherz herabgelassen hatte und mir mit der gleichen Münze für meine Bemerkung, er sei gealtert, heimzahlen wollte. Allgemeine Heiterkeit breitete sich aus; es war aber auch alles wirklich vorzüglich gesagt.
    »Während ich rezitierte, haben Sie vor sich hin gelächelt, aber ich war noch nicht bis zur Hälfte gekommen, als Sie mich unterbrachen, läuteten und dem hereinkommenden Diener befahlen, Tatjana Pawlowna herzubitten, die unverzüglich mit einer so fröhlichen Miene gelaufen kam, daß ich, der sie ja am Tag vorher gesehen hatte, sie jetzt kaum wiedererkannte. In Gegenwart Tatjana Pawlownas mußte ich ›Das Mädchen, schon im Heiratsalter …‹ wieder beginnen und rezitierte es mit Bravour zu Ende, sogar Tatjana Pawlowna hat gelächelt, und Sie, Andrej Petrowitsch, haben sogar ›Bravo!‹ gerufen und mit dem Feuer der Begeisterung behauptet, daß, hätte ich ›Die Grille und die Ameise‹ vorgetragen, es nicht weiter erstaunlich wäre, denn ein heller Junge in meinem Alter könnte diese Fabel vernünftig vortragen, aber dies:
    Das Mädchen, schon im Heiratsalter, hat sich den
    Freier ausgedacht,
    Nichts Arges ist daran zu finden …
    Hören Sie nur genau hin, wie er prononciert: ›Nichts Arges ist daran zu finden …‹! Kurz, Sie waren begeistert. Plötzlich begannen Sie mit Tatjana Pawlowna französisch zu sprechen, sie runzelte augenblicklich die Stirn und begann, Ihnen zu widersprechen, sogar mit großem Eifer; aber da es unmöglich ist, Andrej Petrowitsch zu widersprechen, wenn ihn plötzlich ein Wunsch überkommt, nahm Tatjana Pawlowna mich auf einmal in großer Eile zu sich mit; bei ihr wusch man mir das Gesicht und die Hände noch einmal, ich mußte die Wäsche wechseln, man strich mir Pomade ins Haar und brannte mir sogar das Haar zu Locken. Gegen Abend kleidete sich Tatjana Pawlowna auch selbst um, so prächtig, wie ich das nicht erwartet hätte, und dann fuhren wir beide in einer Kutsche los. Ich kam zum ersten Mal im Leben ins Theater, in eine Liebhaberaufführung bei der Witowtowa; Kerzen, Lüster, Damen, Offiziere, Generäle, junge Damen, ein Vorhang, Stuhlreihen – Ähnliches hatte ich bis dahin nie gesehen. Tatjana Pawlowna nahm den bescheidensten Platz ein, in einer der hinteren Reihen, und setzte mich neben sich. Unter den Anwesenden gab es auch andere Kinder, aber ich hatte für nichts ein Auge, ich wartete stockenden Herzens auf die Vorstellung. Als Sie, Andrej Petrowitsch, auf der Bühne erschienen, war ich begeistert, bis zu Tränen begeistert – warum, aus welchem Grund, das weiß ich selbst nicht. Was sollten diese Tränen des Entzückens? – das war es, was ich mich mit Befremden diese ganzen neun Jahre gefragt habe! Atemlos verfolgte ich die Komödie; ich verstand in dem Stück natürlich nur das eine, daß sie ihn hinterging und daß er von Dummen, die ihm das Wasser nicht reichen konnten, verhöhnt wurde. Als er auf dem Ball deklamierte, verstand ich, daß er, erniedrigt und beleidigt, all diesen erbärmlichen Leuten einen Vorwurf

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