Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
letzter Zeit zur Gewohnheit gemacht, sich vor uns nicht den geringsten Zwang anzutun und sogar nicht einmal in einer schlechten, sondern auch in einer komischen Stimmung, was sonst jedermann ängstlich vermeidet; dabei war er sich dessen wohl bewußt, daß wir alles bis aufs I-Tüpfelchen verstanden. Im letzten Jahr hatte er, wie Tatjana Pawlowna behauptete, seine Kleidung sehr vernachlässigt. Er wirkte stets gepflegt, aber seine Kleidung war nicht mehr neu und ohne ausgesuchte Eleganz. Es stimmt, er war bereit, seine Wäsche zwei Tage zu tragen, was meiner Mutter sogar Kummer machte; das wurde bei ihnen für ein Opfer gehalten, und die ganze Schar der ihm ergebenen Frauen sah darin geradezu eine heroische Tat. Er hatte schon immer weiche, breitkrempige schwarze Hüte getragen; als er in der Tür seinen Hut hob, richtete sich das dicke Büschel seines unglaublich dichten, wenn auch schon deutlich ergrauenden Haars förmlich auf. Ich sah sein Haar gerne, wenn er den Hut absetzte.
»Guten Tag; alle sind versammelt; sogar er ist da? Ich habe schon im Flur seine Stimme gehört; er hat sich über mich beschwert, glaube ich?«
Es war eines der Anzeichen seiner guten Laune, daß er mit mir zu scherzen beliebte. Ich antwortete nicht, wie sich versteht. Lukerja trat ein mit einer prallgefüllten Einkaufstüte und legte sie auf den Tisch.
»Ein Sieg, Tatjana Pawlowna; der Prozeß ist gewonnen, und zu einer Revision werden sich die Fürsten natürlich nicht entschließen. Mein Prozeß ist gewonnen! Ich habe mir sofort tausend Rubel borgen können. Sofja, leg deine Arbeit fort, streng die Augen nicht an. Lisa, du bist schon von der Arbeit zurück?«
»Ja, Papa«, antwortete Lisa freundlich; sie nannte ihn Vater; ich konnte das um keinen Preis der Welt über mich bringen.
»Müde?«
»Müde.«
»Laß diese Arbeit, geh morgen nicht mehr hin; gib sie überhaupt auf.«
»Papa, das wäre für mich noch schlimmer.«
»Ich bitte dich … Ich kann es nicht ausstehen, wenn Frauen arbeiten, Tatjana Pawlowna.«
»Aber wie soll es ohne Arbeit gehen? Wie kann die Frau nicht arbeiten! …«
»Weiß ich, weiß ich, alles schön und gut, und ich bin im voraus mit allem einverstanden; aber mir geht es vor allem um die weibliche Handarbeit. Stellt euch vor, ich trage, scheint es, eine der schmerzlichsten oder, besser gesagt, unnatürlichsten Kindheitseindrücke in mir. Im Nebel der Erinnerung aus meinem fünften bis sechsten Lebensjahr sehe ich am häufigsten – natürlich mit Widerwillen – ein Konklave weiser Frauen um einen runden Tisch, alle streng und unerbittlich, Scheren, Stoffe, Schnittmuster und ein Modebild. Es wird gerichtet und gewaltet, langsam und würdig der Kopf geschüttelt, gemessen, gerechnet und das Zuschneiden vorbereitet. All diese freundlichen Gesichter, die mich alle so sehr lieben, sind plötzlich unansprechbar; kaum falle ich auf, werde ich schon hinausgetragen. Sogar meine arme Kinderfrau hat für mich nichts mehr übrig, sie hält mich mit einer Hand zurück, überhört mein Geschrei und meine Proteste und ist ganz Aug und Ohr, als lausche sie einem Paradiesvogel. Und diese Strenge in den weisen Mienen und dieses würdevolle Gehabe vor dem Zuschneiden – das mir vorzustellen blieb sogar bis auf den heutigen Tag für mich qualvoll. Sie, Tatjana Pawlowna, schneiden furchtbar gerne zu! Das mag von mir aus aristokratisch sein, aber meine größte Liebe gilt der Frau, die überhaupt nicht arbeitet. Bezieh das nicht auf dich, Sofja … Für dich gilt es nicht! Die Frau ist ohnehin eine große Macht, Sonja, das weißt du übrigens auch. Und was meinen Sie, Arkadij Makarowitsch, Sie sind wahrscheinlich dagegen?«
»Nein, nicht unbedingt«, antwortete ich. »Besonders gut ist der Ausdruck, daß die Frau eine große Macht sei, obwohl ich nicht verstehe, warum Sie dies mit der Arbeit verknüpfen? Und daß es unmöglich ist, nicht zu arbeiten, wenn man kein Geld hat – das wissen Sie selbst.«
»Jetzt aber genug davon«, wandte er sich an meine Mutter, die einfach strahlte (als er mich ansprach, war sie förmlich zusammengezuckt), »ich möchte wenigstens in der nächsten Zeit keine Handarbeiten sehen müssen, mir zuliebe nicht. Und du, Arkadij, als Jüngling unserer Zeit gewiß ein wenig Sozialist, kannst du mir glauben, mein Freund, daß der Müßiggang von niemand so sehr geliebt wird – wie von dem ewig werktätigen Volk?«
»Die Ruhe vielleicht, aber nicht der Müßiggang.«
»Nein, eben der
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