Ein guter Blick fürs Böse
doch dann wird Thomas krank. Sie kümmern sich hingebungsvoll um ihn. Doch als er wieder gesund wird, ist er nicht dankbar, sondern voller Misstrauen. Vielleicht hat Mas zu oft in der Herberge herumgehangen, und vielleicht hat Tapley ihn als das erkannt, was er ist. Vielleicht hat Mas Sie gefragt, warum Sie sich so sehr bemüht haben, Ihren Ehemann gesund zu pflegen, wo Sie ihn doch einfach hätten sterben lassen können, um anschließend nach England zu schreiben und die Herausgabe des Erbes zu verlangen. Sie sind inzwischen beide ziemlich sicher, dass Thomas über Vermögen verfügt. Vielleicht haben Sie während seiner Krankheit die an ihn gerichtete Post gelesen oder in seinen Papieren herumgewühlt.
Aber Tapley hat es gemerkt. Er fürchtet eine Verschwörung gegen sich, hat Angst um sein Leben. Falls er wieder ›erkrankt‹, würde kein Arzt etwas dabei finden, nicht nach der schweren Krankheit, die er gerade erst überwunden hat. Vielleicht hat Mas etwas in der Richtung zu Ihnen gesagt, Madame. Eines Tages, als Sie außer Haus sind und Mas aus dem Weg, packt Tapley seine Kiste und flieht. Er ist so verzweifelt, dass er sich nirgendwo in Frankreich sicher fühlt und nach England zurückkehrt. Er sucht seinen Anwalt in Harrogate auf, deponiert persönliche Papiere, betont die Notwendigkeit, sie sicher zu verwahren, und spricht von einem ›Zwischenfall‹. Er erweckt den Eindruck eines verängstigten, gehetzten Mannes. Habe ich bis hierher mehr oder weniger Recht, Madame?«
»Sie nehmen die Fakten, die ich Ihnen erzählt habe, und interpretieren sie auf eine andere Art und Weise, Inspector«, sagte Victorine. »Nichts von dem, was Sie gesagt haben, ist neu, außer Ihren Vermutungen, was Hector Mas angeht. Und diesbezüglich sollten Sie ihn lieber selbst fragen und nicht mich.«
»Sie suchten in Frankreich nach Ihrem Mann, und als Sie ihn nicht fanden, überlegten Sie, dass er nach England gegangen sein könnte – auch das haben Sie mir selbst gesagt«, fuhr ich fort. »Sie wussten, dass er nicht mit Ihnen nach Frankreich zurückkehren würde, falls Sie ihn fanden. Ich glaube, Sie und Mas haben von Anfang an geplant, ihn ausfindig zu machen und zu ermorden.«
Victorine sprang auf. Ihre Augen funkelten und blitzten vor Empörung. »Das ist eine Beleidigung, und es ist obendrein töricht! Warum sollte ich planen, meinen lieben Mann zu ermorden wegen Geld, das vielleicht überhaupt nicht existiert?«
»Setzen Sie sich wieder, Madame. Sie sind inzwischen beide ziemlich sicher, dass das Geld existiert. Sie waren in Harrogate und haben Tapleys Haus gesehen, The Old Hall. Sie waren am Bryanston Square, wo Tapleys Cousin Jonathan Tapley mit seiner Familie lebt, und haben sein Haus gesehen. Sie haben Erkundigungen über Jonathan Tapley eingezogen und erfahren, dass er ein reicher Mann ist. Die Tapleys sind eine geachtete, gut situierte und wohlhabende Familie. Sie haben außerdem etwas Alarmierendes herausgefunden. Mr. Jonathan Tapley ist Anwalt. Sie müssen vorsichtig sein. Sie können nicht einfach an seiner Haustür anklopfen und fragen, ob er weiß, wo Ihr Mann steckt.
Also beschließen Sie, sich die Hilfe eines Detektivs zu sichern, Mr. Horatio Jenkins. Sie geben Jenkins eine Photographie Ihres Ehemannes, und Jenkins spürt ihn auf. Sie zahlen Jenkins aus, doch er weigert sich unter irgendeinem Vorwand, Ihnen die Photographie zurückzugeben. Damit hat er, ohne es zu wissen, sein Todesurteil unterschrieben. Mas geht zu dem Haus, in dem Thomas Tapley logiert. Er betritt das Haus in Abwesenheit der Dienstmagd durch die Küchentür, schleicht die Hintertreppe hinauf, findet Ihren Ehemann lesend in seinem Zimmer und erschlägt ihn von hinten. Er durchsucht den Raum oberflächlich, doch er findet nirgendwo eine Spur von Korrespondenz mit dem Anwalt in Harrogate noch sonst irgendetwas Schriftliches, aus dem hervorgeht, dass Tapley Angst um sein Leben hatte, sollte seine Frau ihn finden. Kein Tagebuch, kein Brief, ›Zu öffnen im Fall meines Todes‹. Er geht in das nächste Zimmer, Tapleys Schlafzimmer. Er will nicht länger bleiben als nötig angesichts des Toten auf dem Teppich nebenan, doch eine Lösung bietet sich an. Auf dem Nachttisch neben dem Bett liegt ein Haustürschlüssel. Mas steckt ihn ein in der Absicht, später zurückzukehren und die beiden Zimmer in Ruhe zu durchsuchen. Dann verschwindet er.«
»Sie irren sich!«, keifte Victorine. »Sie liegen vollkommen falsch!« Sie rang sichtlich um
Weitere Kostenlose Bücher