Ein guter Blick fürs Böse
Ihnen nicht weiterhelfen. Ich habe alles gesagt, was ich zu sagen habe.«
»Das war sehr klug von Ihnen, Madame«, sagte ich, bemüht, meinen Tonfall ernst zu halten und mir meine Hochstimmung nicht anmerken zu lassen.
Sie starrte mich hasserfüllt an. »Sie werden niemals beweisen, dass Hector und ich uns verschworen haben, meinen Mann zu ermorden!«, sagte sie. »Weil wir es nämlich nicht getan haben. Sie werden niemals Beweise finden, die etwas anderes erzählen!«
KAPITEL NEUNZEHN
Es gibt immer noch Leute, die sich an die Zeit zurückerinnern, als in Wapping Piraten aufgehängt wurden. Ob ihre zappelnden Leiber und geschwollenen Gesichter oder ihre geteerten und gefederten Überreste, die in eisernen Käfigen zum Verrotten hängen gelassen wurden, zu irgendetwas anderem nütze waren, als den Anwohnern ein deftiges Spektakel zu liefern, ist ungewiss. Selbst heute noch kommt im stinkenden Schlick gelegentlich eine vergilbte Knochenhand zum Vorschein, wenn die Ebbe weit genug fortgeschritten ist.
Noch immer gedeiht in Wapping mit seiner stinkenden Luft das Verbrechen. Noch immer bevölkern Seeleute die engen Straßen und Gassen und die rattenverseuchten Warenlager und Werften oder torkeln betrunken aus den zahllosen Spelunken. Vor den Mauern der windschiefen, dicht auf dicht gebauten Häuser ziehen sich enge Gassen, die allein zu erkunden an Tollkühnheit grenzt. Kerzenmacher stellen ihre Waren auf den Pflastersteinen aus. Schmuggelware wechselt in verrauchten Hinterzimmern den Besitzer. Tavernen, Opiumhöhlen, Spelunken und Bordelle reihen sich aneinander. Wenn man ein Bett für die Nacht sucht und keine Fragen beantworten will, kann man es hier für einen oder zwei Shilling bekommen – wenn man sich nicht an all dem Dreck stört. Billiger wird es nur noch, wenn man bereit ist, sich das Zimmer zu teilen.
Hier war Hector Mas untergetaucht, ein Gesicht von vielen, ein ausländischer Akzent von vielen, ein falscher Name unter vielen. Er hatte sein Leben in den Slums von Marseille begonnen, und er fügte sich perfekt in die Menge ein.
Es war dunkel geworden, als wir die Silver Anchor Tavern erreichten, ein niedriges, mit Brettern verkleidetes Gebäude mit Schieferdach, das aussah, als wäre es in einem früheren Leben ein Lagerhaus gewesen. Wir hatten bei den Schiffskapitänen und Agenten Erkundigungen nach einem gewissen Laurent oder Mas eingezogen, der sich als Hilfsmatrose auf einem Schiff verdingt hatte und mit französischem Akzent redete. Die meisten hatten niemanden gesehen oder gehört, auf den diese Beschreibung zutraf. Nur ein Agent erinnerte sich an einen Anfragenden, der möglicherweise unser Mann gewesen sein konnte. Er hatte nach Schiffen gefragt, die Besatzung suchten, doch der Agent hatte ihn fortgeschickt, weil ihm sein Anblick nicht gefallen hatte.
»Wir sind im Allgemeinen nicht pingelig, vorausgesetzt, der Bewerber ist gesund und kräftig und geeignet, die Arbeit zu machen«, sagte der Agent. »Aber dieser Bursche hatte so einen Blick in den Augen, den ich von früher kenne. Es war ein Blick, den man bei Männern mit Blut an den Händen findet.«
Wir versammelten uns vor dem Silver Anchor, einigermaßen sicher, dass unsere gesuchte Person in der Taverne anzutreffen war. Wir hatten Verstärkung von Beamten der Flusspolizei. Das Lokal machte guten Umsatz; aus den kleinen, hell erleuchteten Fenstern drangen die Geräusche von schallendem Gelächter, kreischenden Frauen, zankenden Männerstimmen und Fetzen von Musik. Wir hatten die Umgebung sorgfältig kontrolliert, und ich hatte mich überzeugt, dass überall rings um das Gebäude, wo eine Fluchtmöglichkeit bestand, Männer postiert waren. Ich öffnete die Tür zum Lokal und trat ein, gefolgt von Sergeant Morris.
Noch bevor sie uns sahen, spürten sie die Anwesenheit des Gesetzes. Schlagartig senkte sich Stille über den Raum. Kartenspieler erstarrten mit der nächsten abzulegenden Karte zwischen den Fingern. Der Akkordeonspieler brach mit einem misstönenden Quäken ab. Einige Gäste spien auf den Boden aus. Wir gingen durch die Menge zur Theke, wo ein stämmiger, bärtiger Kerl in einer fleckigen Schürze lehnte und uns ansah.
»Sie haben einen Gast in Ihrem Haus, einen Franzosen mit Namen Pierre Laurent«, sagte ich zu ihm. »Ich bin Inspector Ross von Scotland Yard und möchte Monsieur Laurent dringend sprechen. Wo finde ich ihn?«
Der Wirt begann die Theke mit einem Lappen abzuwischen, der so verdreckt war, dass er die Oberfläche
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