Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein guter Blick fürs Böse

Ein guter Blick fürs Böse

Titel: Ein guter Blick fürs Böse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Granger
Vom Netzwerk:
Körper zu balancieren. Der Riese stand in geduckter Haltung da, die Fäuste geballt, und fixierte uns mit bedrohlicher Miene.
    »Das ist mein Wally!«, bemerkte Mrs. Slater mit unverhohlenem Stolz, als sie aus der Küche zurückkehrte und sah, wie ich das Bild studierte. »In seiner besten Zeit, wie man so schön sagt. Das war um die Zeit, als ich ihn kennengelernt habe. Ich hab ihm damals gleich gesagt, sobald ich merkte, dass er verliebt war in mich, dass ich auf gar keinen Fall einen Preisboxer heiraten werde! Sie laufen ständig mit geschwollenen blauen Augen herum oder einem dicken Ohr und kommen blutig nach Hause. Entscheide dich, hab ich zu ihm gesagt, und er hat sich entschieden.« Die letzten Worte hatten einen tief zufriedenen Unterton. »Seine Familie war im Droschken-Geschäft«, fuhr sie fort, »sein Vater und schon sein Großvater. Also stieg Wally bei ihnen ein.«
    »So«, fuhr Mrs. Slater einen Moment später fort und wandte sich zu dem hundserbärmlich dreinblickenden Joey um, der mit einem Tablett voller Geschirr hinter ihr stand und mit den neuen Stiefeln scharrte. »Du kannst die Sachen auf dem Tisch abstellen, dort drüben.«
    Joey gehorchte, doch nicht, ohne sich laut zu beschweren. »Ich bin hergekommen, weil ich mich um das Pferd kümmern soll. Ich bin nicht hergekommen, um Diener zu werden!«
    »Keinen Widerspruch!«, befahl Mrs. Slater streng. »Nun, Mrs. Ross, ich habe mir diesen jungen Burschen genauer angesehen und in meiner Küche ein paar Worte mit ihm geredet. Ich denke, wir wagen einen Versuch mit ihm. Einen Shilling die Woche, für den Anfang. Er kann auf dem Boden über dem Stall schlafen, und er bekommt freie Kost, wenn Sie einverstanden sind?«
    »Das ist großartig!«, antwortete ich für Joey. »Bedank dich bei Mrs. Slater, Joey.«
    »Sehr zu Dank verbunden, Ma’am«, murmelte Joey.
    »Kein Weingeist, keine Gossensprache, keine Blasphemie und kein Herumhängen in zwielichtiger Gesellschaft«, befahl Mrs. Slater. »Keine Besuche in den Pubs, kein Glücksspiel. Du kümmerst dich um das Pferd, striegelst es, hältst die Kutsche sauber, sodass jederzeit eine Lady oder ein Gentleman darin Platz nehmen können, und du wäschst dich regelmäßig. Du kannst die Pumpe benutzen, draußen im Hof.«
    Joey blickte zu mir und rollte verzweifelt die Augen.
    »Selbstverständlich«, stimmte ich zu. »Hast du alles verstanden, Joey?«
    »Jepp. Alles verstanden. Alles klar«, sagte Joey leise.
    »Heute Abend gibt es Hammelragout«, sagte Mrs. Slater leichthin, doch in ihren Augen glitzerte es verräterisch. »Ist das in Ordnung für dich?«
    »Oh! Ja! Ja, das ist in Ordnung!«, rief Joey, und seine Stimmung hellte sich sichtlich auf.
    »Du wirst sehen, es passt ganz wunderbar«, würde ich viel später am Abend zu Ben sagen.
    »Falls er nicht wegläuft«, warnte Ben.
    »Er wird nicht weglaufen«, widersprach ich. »Nicht, wenn er jeden Abend eine warme Mahlzeit bekommt und ein Dach über dem Kopf bei schlechtem Wetter. Abgesehen davon, falls er es doch versucht, könnte ich mir vorstellen, dass jeder Kutscher in ganz London nach ihm sucht. Die Slaters haben viele Freunde.«
    Doch ich musste mich eine Weile gedulden, bevor ich ihm von meinem Erfolg berichten konnte. Ben hatte andere, sehr viel wichtigere Dinge, die ihn beschäftigten.

KAPITEL EINUNDZWANZIG
    Inspector Benjamin Ross
    Ich fand Sergeant Morris in einer schattigen Nische zwischen einem Schrank und der Wand, wo er in Ruhe einen Becher Tee trank. Dieser Ort war Morris heilig, und jeder im Yard, zumindest die Constables, kannte ihn als »Sergeants Versteck«. Die Frage: »Wo steckt Sergeant Morris« zeitigte, so man denn Glück hatte, regelmäßig die Antwort »In seinem Versteck, Sir«. Wenn man wusste, was gemeint war, wusste man auch, wo man Morris finden konnte.
    Als ich mich näherte, stellte Morris den Becher ab und wollte sich erheben. Ich bedeutete ihm sitzen zu bleiben und nahm neben ihm Platz. Wenn jemand einen Becher Tee und eine kurze Pause verdient hatte, dann Morris. Abgesehen davon würde er in den nächsten beiden Tagen nicht viel Gelegenheit dazu erhalten.
    »Nun, Sergeant«, sagte ich zu ihm. »Ich habe achtundvierzig Stunden, um meinen Ruf zu retten oder zu ruinieren.«
    »Wie das, Sir?«, fragte er und musterte mich über den Rand seines Bechers hinweg.
    Ich erklärte ihm die Situation. Morris leerte seinen Becher und lehnte sich zurück, während er nachdenklich vor sich hin starrte. »Das wird ein Stück

Weitere Kostenlose Bücher