Ein guter Blick fürs Böse
geschickt im Beschaffen von Hinweisen und Zeugen zu sein.«
Wie viel lieber war mir da doch Wally Slaters aufrichtige Meinung, ich wäre eine seltsame Frau mit eigenartigen Interessen. Das konnte ich akzeptieren. Alles war mir lieber, als Dunns gönnerhaftes Lächeln.
»Ja!«, entgegnete ich brüsk. »Wirklich zu schade, dass Sie im Yard keine Frauen beschäftigen. Ich hoffe inständig, dass das eines Tages der Fall sein wird!«
Ich weiß nicht, wer von den beiden erschrockener dreinsah. Ich strahlte sie an und ließ sie allein, damit sie über die Schrecken einer Zukunft mit Frauen beim Yard nachdenken konnten. Und wenn Superintendent Dunn noch mehr Beweise brauchte, dass Scotland Yard von weiblichen Ermittlern profitieren konnte, dann würde ich mein Bestes tun, damit er sie bekam.
KAPITEL SIEBEN
Inspector Benjamin Ross
Es war ein frustrierender Gedanke, dass Lizzie uns beim Haus der Witwe Jameson nur knapp verpasst hatte. Natürlich war ich begierig, mich mit Kohlenhaus-Joey zu unterhalten. Wenn wir ihn erst hatten, würde ich das auch sicherlich tun. Doch das konnte noch eine Weile dauern. Joey würde wissen, dass wir ihn suchten, und uns aus dem Weg gehen. Doch er konnte sich nicht für immer verstecken. Das Gebiet um die Waterloo Bridge Station war sein Revier. Hier bettelte er nach eigener Aussage an den Hintertüren der Haushalte und Gaststätten. Hier kannte man ihn, und hier wusste er, wo man ihm wohlgesonnen war. Er würde nicht hungern, wenn er hier seine regelmäßigen Almosen und Essensreste bekam. Er würde für eine Weile untertauchen, doch dann würde er zurückkehren. Der Hunger würde ihn treiben, und Hunger war stärker als Vorsicht.
Nach dem Wortwechsel mit Dunn war Lizzie mit fliegenden Röcken aus dem Zimmer geeilt. Ihr Verhalten ließ mich vermuten, dass sie an irgendeiner Aussage Dunns Anstoß genommen hatte. Das war bedauerlich, da ich aus Dunns eigenem Mund wusste, wie sehr er ihren scharfen Verstand schätzte. Doch Frauen reagieren eben manchmal aus völlig unerklärlichen Gründen empfindlich. Eine harmlose Bemerkung über die etwas trockenen Schweinekoteletts wird augenblicklich als völlig misslungene Mahlzeit und schwere Kritik am Koch ausgelegt. Eine als Kompliment gedachte Bemerkung, dass ein bestimmtes Kleid der Ehefrau besonders gut stand, führte unweigerlich zu der säuerlichen Erwiderung, man müsse stets das Gleiche anziehen und habe zu wenig Garderobe. Machte man zu viele Komplimente, so war das verdächtig. Machte man keine, so lief man Gefahr, als unaufmerksam und gefühlskalt beschimpft zu werden. All das gilt natürlich nicht für Lizzie. Sie ist viel zu intelligent und einfühlsam, und ich denke, dass wir einander gut genug verstehen, um solch törichte Zankereien zu vermeiden. Ich spreche mehr im Allgemeinen, gestützt auf die Klagen meiner verheirateten Kollegen. Mrs. Morris beispielsweise ist, wie man mir gesagt hat, äußerst sensibel, was ihre Fertigkeiten als Köchin betrifft.
Sei es, wie es wolle, am nächsten Morgen setzte ich meine Hoffnungen zunächst auf die Berichte über den Mord, die am Abend zuvor in den Zeitungen erschienen waren. In London gab es eine Menge Vermisster und noch mehr Leute, die nach ihnen suchten. Mit ein wenig Glück würden Letztere schon bald einen Weg zum Scotland Yard finden.
Und tatsächlich, bis zum frühen Nachmittag hatte ich bereits drei erwartungsvolle Besucher gehabt, alle aufgrund der Zeitungsmeldung, und alle waren fest überzeugt, bei dem Toten würde es sich um die gesuchte Person handeln. Unglücklicherweise stimmten in keinem der drei Fälle die Beschreibungen der vermissten Personen mit dem Erscheinungsbild Tapleys überein.
Doch das wollten die Besucher nicht hören. Sie beharrten darauf, dass es sich bei dem Leichnam um ihren abtrünnigen Ehemann, säumigen Mieter oder den Mann handelte, der sie dazu überredet hatte, in eine todsichere Sache zu investieren oder ihr Geld an der Börse anzulegen. In zwei Fällen gab es keinerlei Grund für Optimismus. Ich schickte den Mann, dessen Mieter sich bei Nacht und Nebel davongemacht hatte, in Begleitung Biddles zum Leichenhaus, obwohl die Wahrscheinlichkeit äußerst gering war, dass er die Leiche kannte. Biddle kam denn auch mit der Nachricht zurück, dass der Gentleman den Toten nicht hatte identifizieren können und höchst aufgebracht mit den Worten gegangen wäre, das Scotland Yard hätte seine kostbare Zeit verschwendet.
Es war kurz nach zwei Uhr nachmittags.
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