Ein guter Blick fürs Böse
zufrieden damit sind wie Mrs. Slater. Obwohl Sie einen Zivilhengst aus dem Yard geheiratet haben, eh?« Er schüttelte betrübt den Kopf. »Nicht, dass ich überrascht wäre. Sie hatten schon immer ein merkwürdiges Interesse an Leichen. Ich weiß, dass Ladies ihre Hobbies haben. Aber normalerweise malen sie Blumen oder gehen den Armen mit ihren guten Taten auf die Nerven. Ihr Vater war ein Knochensäger, wenn ich mich recht entsinne. Vermutlich liegt es in der Familie. Sie haben wahrscheinlich einen besonderen Blick für das Böse.«
»Ja, ja, Mr. Slater, wenn Sie es sagen.« Es war zwecklos, ihn überzeugen zu wollen, dass ich kein besonderes Interesse an Leichen hatte. »Wären Sie jetzt so freundlich, mich auf dem schnellsten Weg zum Scotland Yard zu bringen?«
»Selbstverständlich«, sagte er. »Nur rein in die Kutsche! Ich habe sie erst gestern ausgewaschen, es ist alles sauber. Ich muss geahnt haben, dass Sie auftauchen.«
Wir legten die Strecke in ordentlicher Zeit zurück. Bevor wir uns verabschiedeten, wünschte er mir alles Gute bei meinen Nachforschungen. »Auf Wiedersehen, Mrs. Ross. Gerne auch ohne dass wieder eine Leiche aufgetaucht ist!«
Ich eilte in den Yard.
»Hallo, Mrs. Ross«, sprach mich ein junger Constable an. »Der Inspector ist beim Superintendent. Bitte nehmen Sie einen Augenblick Platz. Ich gehe hoch und sage Bescheid, dass Sie da sind. Es wird nicht lange dauern, bis er wieder im Büro ist.«
»Lizzie?«, erklang ein paar Minuten später Bens Stimme, und ich konnte die Überraschung an seinem Gesicht ablesen. »Was ist denn nun wieder passiert?« Seine Stimme wurde schärfer.
Ich erzählte ihm von meiner Begegnung mit Kohlenhaus-Joey und Tapleys mysteriösem Besuch.
»Ich muss den Jungen ausfindig machen«, sagte er und schnalzte ungeduldig mit der Zunge. »Natürlich waren Morris und ich heute Morgen in diesem Haus, um Tapleys Zimmer zu durchsuchen. Ich wünschte, wir wären auch noch da gewesen, als du gekommen bist. Wir hätten sofort in die Gegend gehen können, wo du Joey getroffen hast, und alle zusammen nach ihm suchen. Ich muss Constable Butcher und seinen Kollegen Bescheid sagen, dass sie nach dem Jungen Ausschau halten.«
»Sie würden Joey nicht erwischen«, sagte ich. »Er ist ständig auf der Hut vor der Polizei. Ich könnte Bessie bitten, die anderen Mägde in der Straße zu fragen, ob sie ihr Bescheid geben, wenn Joey an ihrer Küchentür auftaucht und sich Essensreste erbettelt. Leider kommt er nie zu uns. Bessie jagt ihn fort, wenn ich nicht da bin. Die Magd der Witwe Jameson scheucht ihn ebenfalls weg. Wenn ich zuhause bin und ihn sehe, gebe ich ihm immer etwas. Ich wünschte wirklich, wir könnten etwas für ihn tun. Er mag Pferde, Ben. Er könnte Stalljunge werden.«
»Er könnte sich bei den Stallungen herumdrücken und sehen, ob er den Stallknechten für ein oder zwei Penny aushelfen kann. Ich bezweifle allerdings, ob irgendjemand ihm ein kostbares Tier anvertrauen würde.« Ben runzelte gedankenverloren die Stirn. »Diese ›goldenen‹ Pferde, wie er sie nach deinen Worten nannte. Sie müssten leicht zu finden sein, wenn wir wüssten, in welcher zweifellos wohlhabenden Gegend von London wir suchen müssen. Ich informiere die anderen Reviere. Sie sollen ihren Leuten Anweisung geben, nach einem zueinander passenden Gespann dieser Art Ausschau zu halten und sofort Nachricht an Scotland Yard zu geben.«
Ben legte die Arme über den Kopf und seufzte. Er sah müde aus, dabei lag ein Großteil des Tages noch vor ihm. »Hoffen wir, dass ich morgen etwas aus Southampton höre oder dass der Bericht über den Mord in den Abendzeitungen Interesse erregt. Unser Quäker-Witwen-Untermieter ist ein faszinierender Fall, Lizzie, doch wir werden schon noch herausfinden, was es mit seinen Geheimnissen auf sich hat.«
In diesem Moment erklangen schwere Schritte im Gang, und Superintendent Dunns kräftige Gestalt erschien in der Tür.
»Hallo, Mrs. Ross!«, rief er. »Es ist immer eine Freude, Sie zu sehen, Ma’am.«
Was haben Sie hier zu suchen? war die unausgesprochene Frage hinter seiner Begrüßung, erkennbar an den buschigen Augenbrauen, die sich bis fast zum Haaransatz hoben.
Ben berichtete ihm hastig von meinem Zusammentreffen mit Kohlenhaus-Joey.
»Was würden wir bloß ohne Sie anfangen, Mrs. Ross?«, polterte Dunn. »Schon wieder bringen Sie uns nützliche Informationen. Zu schade, dass wir hier beim Yard keine Frauen anstellen. Sie scheinen sehr
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