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Ein guter Jahrgang-iO

Ein guter Jahrgang-iO

Titel: Ein guter Jahrgang-iO Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Mayle
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schien, auf das Amis gewartet hatte. »Ich habe mich mit den Brüdern unterhalten«, sagte er. »Und sie teilen meine Besorgnis.«
    »Wovon reden Sie?«
    »Ihre Leistungen, mein Freund. Ihre Arbeitsproduktivität. Sie sind dieses Jahr wie ein Kriegsveteran herumgelaufen. Ein Trauerspiel.«
    »Sie wissen, womit ich das letzte halbe Jahr beschäftigt war - das reinste Puzzlespiel, ich habe es Ihnen gerade geschildert.« Max musste sich zusammenreißen, um nicht laut zu werden. »Und Sie wissen verdammt gut, dass sich Transaktionen dieser Größenordnung nicht übers Knie brechen lassen. Gut Ding will Weile haben.«
    Amis begrüßte die Ankunft seiner crème brulée, indem er der Bedienung abermals zuzwinkerte. »Das zieht nicht bei mir, mein Freund, das zieht nicht. Wollen Sie wissen, woran es hapert?« Er musterte Max und nickte zwei oder drei Mal. »Ihr Privatleben kommt Ihnen in die Quere. Zu viele Nächte, die Sie sich um die Ohren schlagen, zu viele Weiberröcke, denen Sie nachjagen. Sie haben Ihren Killerinstinkt verloren.« Er nahm den Löffel und versetzte seinem Dessert den Todesstoß, mitten durchs Herz.
    »Das ist doch Blödsinn, und das wissen Sie. Beide Firmen sind erst jetzt reif zum Abschuss. Die Übernahme ist so gut wie geritzt.«
    Amis sah ihn an, einen Klecks gelber Creme auf dem Kinn. »Sie haben es erkannt.«
    »Was soll das heißen?«
    »Ich übernehme den Rest.« Amis verleibte sich den nächsten Löffel ein, zermalmte den karamellisierten Zucker zwischen seinen Zähnen.
    Max holte tief Luft. »Ich schätze, da haben die Lawtons auch noch ein Wörtchen mitzureden. Sie sind...«
    »Zu spät, Sonnyboy. Das ist bereits geklärt. Sie haben mir heute Morgen grünes Licht gegeben.«
    Max sah das Ergebnis monatelanger Arbeit mit einem Schlag zunichte gemacht. Noch schlimmer, er sah, wie sein Bonus auf Amis' Bankkonto verschwand, während sich seine unbezahlten Rechnungen stapelten und die Bank die Schlinge um seinen Hals immer enger zog. »Das können Sie nicht machen. Das ist Piraterie am helllichten Tage. Diebstahl geistigen Eigentums.«
    »Wo leben Sie eigentlich? So ist das nun mal in unserer Branche. Da wird mit harten Bandagen gekämpft. Ist nicht persönlich gemeint, kein Grund, nachtragend zu sein. Ich mache Ihnen ein Angebot. Ich habe einen Tipp bezüglich einer kleinen Konstruktionsfirma bekommen, aber dafür fehlt mir im Moment die Zeit. Die dürfen Sie übernehmen.«
    Max erinnerte sich mit einem Mal an eine Lektion über das Leben, die ihm sein Onkel Henry vor vielen Jahren erteilt hatte: Besser, aufrecht zu sterben als geduckt zu leben. Er fasste einen Entschluss. »Ich darf sie übernehmen, sagen Sie? Ich darf die Vorarbeit leisten, wie gehabt, und wenn es so weit ist, bekomme ich wieder einen Tritt? Haben Sie sich das so vorgestellt?« Er beugte sich über den Tisch. »Wissen Sie was? Stecken Sie sich Ihre kleine Konstruktionsfirma sonst wohin, und meinen Job dazu. Ich arbeite nicht für einen Arsch wie Sie, der nicht zwischen Mein und Dein unterscheiden kann.«
    Amis verspürte einen Hauch von Zufriedenheit, als Max seinen Stuhl zurückschob. Das Mittagessen war ganz nach Plan verlaufen; genauer gesagt, es hätte gar nicht besser laufen können. Zum einen hatte er einen detaillierten Bericht über den aktuellen Stand der Transaktion erhalten, und zum anderen entfiel, da Max von sich aus das Handtuch geworfen hatte, die Zahlung einer Abfindung. Perfekt. »Ganz wie Sie wollen«, erwiderte er. »Das ist Ihre Entscheidung. Sorgen Sie dafür, dass Ihr Schreibtisch bis heute Abend ausgeräumt ist, okay?«
    Max stand auf, aber Amis war noch nicht fertig mit ihm. »Haben Sie nicht etwas vergessen, mein Freund? Den Firmenwagen?« Er streckte die Hand aus. »Ich nehme die Autoschlüssel, wenn Sie nichts dagegen haben.«
    Max holte die Schlüssel aus seiner Tasche und zögerte einen Moment, bevor er sie mit Bedacht in Amis' halb verspeiste crème brulée fallen ließ.
    Amis sah ihm nach. Dann nahm er sein Handy und tippte Tracys Nummer ein.
    Auf dem Rückweg ins Büro fühlte sich Max hin und hergerissen zwischen leisem Entsetzen und unbändiger Freude über seine Reaktion. Zugegeben, die Zeiten waren schlecht, um auf der Straße zu stehen. Aber der Gedanke an ein Leben ohne Amis und seine ständigen Sticheleien war ihm ein Trost; bedauerlicherweise reichte er nicht annähernd aus, um ihn für den verlorenen Bonus zu entschädigen. Er saß in der Klemme, musste dringend eine andere Beschäftigung

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