Ein Hauch Von Sterblichkeit
berichtete Liam dem Superintendent.
»Seit der Öffnung Osteuropas gibt es eine ganze Reihe ähnlicher Programme. Wir nehmen einen steten Strom von Doktoranden aus dem ehemaligen Ostblock auf und schicken im Gegenzug unsere Leute zu ihnen. Vor den Veränderungen in Europa hätte ein derartiges Unterfangen endlose Bürokratie und Schikanen nach sich gezogen. Wir hätten nicht die Leute bekommen, die wir für die am besten geeigneten gehalten hätten, sondern diejenigen, die sie ausgewählt hätten. Und sie hätten nervös auf alles reagiert, was von unserer Seite zu ihnen gekommen wäre. Jetzt tauschen wir einfach aus, eins zu eins. Es ist zum beiderseitigen Nutzen. Aber hören Sie, das hat absolut nichts mit dieser Geschichte zu tun!«
»Ich verstehe, Dr. Caswell. Allerdings ist es in einem Fall wie diesem durchaus üblich, dass die verantwortliche Gruppe den Drohbrief auch als von ihr stammend kenntlich macht. Sie sucht schließlich die Öffentlichkeit. Gab es irgendwelche Hinweise auf den Absender der Briefe?«
»Nein.« Liam flüchtete sich einmal mehr in Einsilbigkeit.
»Poststempel?«
»Ich erinnere mich nicht. London, glaube ich.«
»Irgendetwas Ungewöhnliches an der Schrift?«
»Nein. Hören Sie, ich kriege eine Menge Post aus London!«
»Und was genau stand in diesen Briefen?«, fragte Markby, ohne auf die letzten Worte Caswells einzugehen. Nachdem er auf diese Weise gezwungen wurde, Einzelheiten zu schildern, wich seine gespielte schlechte Laune tiefen Emotionen. Seine Stimme bebte vor Leidenschaft.
»Sie erhoben dumme und unzutreffende Anschuldigungen gegen mein Buch. Beleidigende, ignorante Kritik!« Seine Worte endeten in einem entrüsteten Schnauben.
»Buch?«, hakte Markby nach. Offensichtlich bedauerte Liam, preisgegeben zu haben, wie sehr die anonymen Anschuldigungen ihn getroffen hatten. Er antwortete steif:
»Ich bin gegenwärtig damit beschäftigt, meine Forschungsergebnisse zu ordnen und alles für eine Veröffentlichung vorzubereiten. Ich denke, es wird ein wichtiges Buch werden und zur Verbesserung des Kenntnisstandes bezüglich dieses Themas beitragen. Es tut mir Leid, wenn das eingebildet klingt, aber es ist die Wahrheit. Die meisten Leute in diesem Kaff hier scheinen zu glauben, dass ich einen Roman schreibe!«, schnarrte er verächtlich. Markby legte die Finger zusammen und stützte sie unter das Kinn.
»Wie viele Personen wissen von diesem Buch? Wissen Sie von anderweitigen Vorbehalten gegen Ihre Arbeiten? Ich habe gehört, dass akademische Rivalitäten zu leidenschaftlicher Feindschaft führen können.«
»Falls Sie glauben, einer meiner akademischen Kollegen wäre eifersüchtig genug, um mir Drohbriefe und explodierende Videos zu schicken, dann vergessen Sie’s!«, brüllte Liam. Er sah das gequälte Gesicht seiner Frau und fuhr ein wenig ruhiger fort:
»Hören Sie, Superintendent, ich möchte wirklich nicht beleidigend sein, aber diese Briefbombengeschichte bringt das Fass zum Überlaufen! Was soll ich tun? Mich verbarrikadieren? Vor jedem Irren in diesem Land wegrennen? Keine Post mehr annehmen, weil sie ja explodieren könnte? Ganz untertauchen und meinen Namen ändern? Das werde ich bestimmt nicht tun! Das wäre lächerlich! Ich muss es einfach ignorieren. Das ist alles, was ich dagegen tun kann.«
»Unglücklicherweise, Dr. Caswell, lassen sich Briefbomben nicht so einfach ignorieren.«
»Verrückte!«, wurde Liam erneut laut.
»Ich werde ihren Aktivitäten ganz gewiss nicht dadurch Bedeutung verleihen, dass ich mich von ihnen einschüchtern lasse!« Schweigen breitete sich aus. Nach einer ganzen Weile sagte Markby in merkwürdigem Tonfall:
»Dr. Caswell, als Polizeibeamter bin ich verpflichtet, diesen Zwischenfall als ernstes Verbrechen zu betrachten. Ich möchte Sie nicht unnötig in Angst versetzen, doch im Gegensatz zu Drohbriefen, die den Empfänger in der Regel lediglich einschüchtern sollen, ist eine Briefbombe eine sehr gefährliche Waffe und unter den richtigen Umständen durchaus tödlich.«
»Wie kann jemand etwas so Krankes tun?«, ächzte Sally Caswell. Meredith legte ihr den Arm um die Schultern und schnitt eine Grimasse in Alans Richtung. Markby hielt ihrem Blick stand.
»Es tut mir sehr Leid, wenn ich Mrs. Caswell Angst mache, doch Sie, Dr. Caswell«, und mit diesen Worten wandte er sich wieder zu Liam, »Sie sollten diese Angelegenheit keinesfalls auf die leichte Schulter nehmen.« Liam lief rot an.
»Ich nehme nichts auf die leichte Schulter!
Weitere Kostenlose Bücher