Ein Haus in Italien
Familie war. Nach mehrstündiger Vorbereitung wurden die cappelletti -Nudelvierecke zwei Minuten lang in einem Topf gehaltvoller Hühnerbrühe gekocht. Dieses Essen ließ sich ein paar Stunden vorher zubereiten, so daß die ganze Familie, einschließlich der Köchin, zur Messe gehen konnte.
Auch Heiligabend wurde religiös gefeiert, man aß den ganzen Tag nur Fisch, und in der Mitternachtsmesse mit dem kompletten Dorfchor (der wenig kleiner schien als das ganze Dorf) gab es viele Leute in den hinteren Reihen, die plauderten, und vor der Kirche standen Männer in Grüppchen und rauchten.
Das wirkliche Festmahl aber, das Festmahl, von dem eigentlich niemand vor Ablauf von sechs Stunden aufstand, das Festmahl, von dem sich jedes normale Verdauungssystem noch wochenlang nachhaltig belastet fühlen mußte, war das Abendessen zu Capo d'anno. Estelio und Imolo hatten uns angewiesen, nichts zu unternehmen, um unsere eigene Variante dieses Mahles herzustellen. Das Abendessen würde für alle auf dem campo sportivo serviert werden. Maria machte viele vorsichtige Andeutungen zum Thema passende Garderobe. Es war offensichtlich die San Orsola-Entsprechung von Smoking und Abendkleid, also Sonntagsstaat, und das bedeutete in San Orsola, vor allem für Frauen und heiratsfähige Mädchen, eine Palette der erstaunlichsten Aufmachungen. Es handelte sich im Grunde eher um Kostümierungen als um Kleider. Sie machten kaum Zugeständnisse an das, was gemeinhin als guter Geschmack gilt, waren mutwillig grellfarben, provozierend knapp und mit einer Kombination aus Goldlamé, Straß und Webpelz besetzt, wobei sehr viel Geschick darauf verwandt wurde, auf einem Stück Stoff möglichst viele dieser Verzierungen gleichzeitig unterzubringen. Maria war zur Hüterin unseres Rufs geworden, und ich sah, daß sie sich sorgte, wie wir zu einem so wichtigen Ereignis erscheinen würden, denn ich schaffte es mit meinem unvorteilhaften neuen Umfang nicht, mich und das Baby in eines meiner Kleider zu zwängen.
Am Abend des 30. Dezember umzingelte ein Konvoi aus Lastwagen und Fiat 500 die Villa. Die Fahrzeuge des Konvois verständigten sich durch die üblichen Salven aus Rufen und Dauerhupen. Die Sprache der Hupe ist wichtig in Italien, sie entspricht in den seltensten Fällen internationalen Verkehrsgepflogenheiten. Ein Autokonvoi, der unisono auf die Hupe drückt, zeigt Hochzeitsgäste an, die nach einer Trauung unterwegs sind, um sich zu amüsieren, und alle Subsprachen der Hupe stammen davon ab. Wenn also drei Autos hintereinander die Straße entlang- oder einen Hügel hinauffahren und anfangen loszututen, bedeutet dieses Tuten, wir amüsieren uns, es macht einen Riesenspaß. Sind es dreimal soviel, entsteht daraus unweigerlich ein weiteres Fest.
Erneutes Rufen füllte die sonst ruhige Abendluft und ließ im Frost Nebelwölkchen entstehen, die wir vom Küchenfenster aus sahen. Von zahllosen »Dio buono« begleitet, wurden Stapel von Brettern und Böcken, große Weinflaschen und eine Unmenge anderer Dinge von den Lastwagen abgeladen, und die angeheiterte Mannschaft kämpfte mit ihren Lasten. Nachdem Knallen, Fluchen und kreischendes Gelächter verebbt waren, herrschte vor dem Haus eine ganze Zeitlang verlegenes Gerufe, bis schließlich Imolo auftauchte und mitteilte, es traue sich keiner herein.
»Wir bereiten euch solche Unannehmlichkeiten«, erklärte er. »Wir wollten auch sagen, daß ihr es euch immer noch anders überlegen könnt. Ein Wort, und wir laden das Zeug wieder auf und verschwinden.«
Das hatten wir in den vergangenen zwei Wochen zahllose Male durchexerziert. Wir hatten auf jede denkbare Weise, eidesstattliche Erklärungen ausgenommen, beteuert, wie gern wir die Gastgeber des bevorstehenden Neujahrsfestes sein
würden. Wir wußten auch, daß inzwischen etwa vierhundert Leute aus der ganzen Gegend eingeladen worden waren und niemand die geringste Absicht hatte, am Vorabend des großen Ereignisses irgend etwas abzusagen; gleichwohl ging das Kokettieren noch einige Zeit weiter, in der Robbie dem Trupp mehrere Flaschen Wein hinunterschickte und Sprecher des Trupps Entschuldigungen zum Küchenfenster hochriefen.
Schließlich kamen die Musiker, um ihre Anlage aufzubauen, und die Posse hatte augenblicklich ein Ende. Die Mannschaft teilte sich auf und installierte mit außergewöhnlichem Geschick alles, was für das Fest nötig war. Als sie fertig waren und ihr Terrain auf Zeit abgesteckt hatten, wurden alle sehr geschäftsmäßig und
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