Ein Haus in Italien
selbstsicher. Am folgenden Morgen würden noch einige kommen, um am Hang vor der Villa das Feuerwerk vorzubereiten. Dann wurde ein letztes Glas Wein ausgegeben, und man diskutierte kurz, ob ich möglicherweise die Daten meiner Schwangerschaft falsch berechnet haben könnte, da ich viel weiter zu sein schien, als ich zugab. Die fünf Männer des proloco , die zum Haus gekommen waren, um kleine Weihnachtsgeschenke für die Kinder abzuliefern (sie kamen auf einem Traktor mit Schlittenglöckchen und mit einem sturzbetrunkenen, sehr großen Weihnachtsmann, der die Treppe hinaufstolperte und sich für seinen Zustand entschuldigte – wir waren das letzte Haus auf seiner Runde, und er schielte bereits von den zahllosen Toasts), wärmten sich am Feuer; die anderen, insgesamt etwa zehn, kamen nicht herein, sondern riefen uns aus ihrem Grüppchen an der Tür zu.
Unser verdauungsgestörter Tanzlehrer Domenico war noch etwas beunruhigt über den Stand unserer Fertigkeiten und
hatte verabredet, kurz vor Mitternacht vorbeizukommen, um in letzter Minute nochmals Walzer und Tangos mit uns zu üben. Wir würden öffentlich auftreten und unsere recht unsicheren Schritte vorführen, und er sorgte sich um unsere contragiri oder Linksdrehungen. Würde er unseretwegen sein Gesicht verlieren? Alle wußten, daß er jeden Morgen gekommen war, um uns in der großen Küche zu unterrichten. Dafür hatte Maria Gläser und leere Weinflaschen weggeräumt, Küchentisch und Stühle beiseite geschoben und dabei vor sich hingelacht. Wie in Südamerika, konnte auch hier kein Einheimischer verstehen, daß jemand beim Hören der Musik nicht sofort die richtigen Schritte machte – bereits ein Zweijähriger konnte das –, daher fanden sie Unterricht bizarr.
»Macht es euch nichts aus?« fragte Maria. »Alle lachen über euch.« Ich versuchte zu erklären, daß ausgelacht werden immer noch besser sei, als meinen Spann zertrümmert zu bekommen oder arglose Partner zu Fall zu bringen. Aber offenbar war nichts schlimmer, als ausgelacht zu werden: Gesichtsverlust. Diese brutta figura regierte das Leben, Angst vor Lächerlichkeit war der Boß. Darum plagte sich Domenico bis zwei Uhr morgens mit unseren Linksdrehungen, er gab sich Mühe, weil wir gut sein sollten. Als ich ins Bett ging, hatte ich bei allen vier traditionellen Tänzen ein recht sicheres Gefühl, aber Robbie und ich waren halbe Krüppel vor lauter Schmerzen in den Wadenmuskeln.
Nach dem Essen auf dem campo sportivo und so vielen gemeinsam geleerten Flaschen Schaumwein, daß der Speisesaal vor lauter knallenden Korken zum Schlachtfeld wurde, zogen wir durch die beißende Kälte zum palazzo.
Trotz einiger Gasöfchen hatte die Halle im Parterre die
Temperatur eines Kühlhauses. Pietro der letzte Castellano sollte als Türsteher angeblich die Karten kontrollieren, damit sich kein Unbefugter einschmuggelte, doch in Wirklichkeit war er, ohne die Füße zu bewegen, überall, er schwankte und grinste nach allen Richtungen und verlor fast das Gleichgewicht, als die Dorfbewohner an ihm vorbeidrängten, um der kalten Nachtluft zu entfliehen. Es waren zwei Akkordeonspieler da sowie der purpurgesichtige, schlaganfallverdächtige Geiger. An den klammen Wänden standen buchstäblich Hunderte von Menschen, die wir noch nie gesehen hatten, während etwa vierzig Paare sich aufwärmten, indem sie ihre Tanzkünste vorführten und zwischen den Pfeilern hindurchglitten.
In den letzten vier Monaten der Restaurierung, bevor die Zahl der Arbeiter auf die winterliche Kernmannschaft schrumpfte, waren ein rosa Travertinfußboden gelegt und die Bogenpfeiler neu verputzt worden. Seinerzeit schien das ein unnötiges Abschweifen von dem wichtigsten Ziel, den Hauptteil des Hauses instand zu setzen, aber jetzt erkannten wir, daß es unabdingbar gewesen war. Imolo hatte offenbar schon immer gewußt, daß der Ball auch weiterhin in dieser Halle stattfinden würde, und jetzt bestaunten alle seine Hexenkünste. Es herrschte auf der Haupttreppe ein ständiges Kommen und Gehen, da Imolo mit Einheimischen Besichtigungstouren zu jenen Teilen unternahm, die er restauriert hatte. Imolo tanzte nie. Er war wohl der einzige Mann, der nicht tanzte. Selbst Allies Schulfreunde absolvierten pflichtbewußt mit ihren Müttern oder ihren Schwestern einen Tango. Es gab junge Mädchen in hautengen Trikots, junge Mädchen in paillettenbestickten Miniröcken, ältere Frauen mit Wildlederstiefeln und Schnurrbärten, unglaublich dicke Ma
tronen in
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