Ein Haus in Italien
an, als wir in Betracht ziehen konnten. Schließlich wählte Imolo für uns ein halbes Schwein aus und überwachte dessen Umwandlung in Speck, Salami, Wurst und rohen Schinken. Die Schweine wurden in den ersten Januartagen geschlachtet. Im ganzen Dorf erhitzte man Wasser in einem Kessel über dem offenen Feuer und hielt säckeweise Salz zur Schinkenherstellung bereit, während Tonino, der Schweinemetzger, mit Messern und seiner Säge von Haus zu Haus ging. Wegen meiner »anderen Umstände« mußte ich dem blutigen Ritual nicht beiwohnen, Robbie aber hatte keine solche Entschuldigung und wurde mehrfach heruntergerufen, um während der kombinierten Schlacht-Sauf-Veranstaltung, die in der Küche der irischen Beauties stattfand, Rat und Lob zu spenden.
Zwischen den Schweinen und dem Karneval Anfang März lag nichts als bittere Kälte. Das Leben bestand aus Holzholen und nochmals Holzholen. Immer mehr Dorfbewohner fanden den Weg herauf, um den wachsenden Mythos unse
res kalten Hauses am eigenen Leib zu erleben. Draußen lag auf meinen Lilienbeeten zentimeterhoch der Reif, und von den Bäumen hingen die Eiszapfen. Drinnen war Eis in unserem neu installierten Bad. Unsere italienische Heizdecke, ein Geschenk von Maria und Imolo, zu dem Silvios Tochter Clara etwas beigesteuert hatte, die manchmal zum Helfen kam und schon gebeten worden war, mir bei dem neuen Kind zur Hand zu gehen, sobald es soweit war, machte das Bett nicht nur erträglich, sondern zur ungetrübten Glückseligkeit, und zwar ganze drei Wochen lang. Es handelte sich um eine Decke aus der Gegend, die den gleichen Gesetzen gehorchte wie die lokale Küche – keine Zusätze und nichts aus anderen Landstrichen –, und keine verunzierenden Beigaben wie Thermostat oder Regulationsmechanismus hatte. Der Stecker wurde reingesteckt oder rausgezogen. Als sie unser Bett in Flammen setzte, uns knapp verfehlte und unser Zimmer mit hochgiftigen Dämpfen füllte, entgingen wir dem Erstickungstod nur dank der undichten Plastikplanen vor unseren vier Schlafzimmerfenstern und der beiden Vorhänge, die sehr unzulänglich als Türen fungierten. Nach dem Feuer, das ähnlich bereits mehrere Heizdeckenbenutzer im Dorf erlebt hatten, wurde unser Bett wieder zu einer derart frostigen Matratze, daß man die ersten zwanzig Minuten auf dem Tisch einer Leichenhalle zu liegen meinte, mit drei winzigen Wärmeinselchen, wo die in Windeseile gefrierenden Heißwasserflaschen lagen.
Im Februar, lange nachdem uns das Frühjahr versprochen worden war, schneite es. Eines Nachts fuhr ein Schneesturm über San Orsola, verwandelte die umliegenden Hügel in eine arktische Landschaft, schnitt uns ab und bot dem proloco eine weitere wunderbare Entschuldigung, sich zu treffen, zu
trinken und als Grüppchen von Michelin-Männchen durch die Gegend zu stapfen, um jede einzelne Familie zu besuchen, in deren Cantinas aufzutanken und weiterzuziehen. Unser Freund Paul in seinem entlegenen Häuschen im Wald weit außerhalb des Dorfes wurde angewiesen, sein Heim zu verlassen und ihnen entgegenzukommen, wenn sie den Bergweg mit einem Traktor räumten. Die folgenden Wochen wohnte er bei uns, eingeschneit, aber Geschäfte und alles Nötige konnte man durch den Schnee stapfend erreichen. Trotz der Probleme fanden alle den Schnee wunderbar. Da die Dorfbewohner nicht zur Arbeit konnten, trafen sie sich jeden Nachmittag um drei vor der Kirche zur Schneeballschlacht. Selbst Don Annibales neunzigjährige Mutter machte mit, wenn sie zu ihrem Holzstoß hinausging. Auf dem steilen Hang zwischen Kirche und Bar wurde Schlitten gefahren, was das Dorf in einen lauten Spielplatz verwandelte. Iseult, wegen Nierenschmerzen aus Paris zurück, und Allie stapelten einen Berg gefrorener Munition auf, der dem Venezianischen Arsenal zur Ehre gereicht hätte, und bombardierten unsere Besucher. Karneval wirkte im Vergleich eher zahm und zeichnete sich nur durch einen zweiten Ball in unserer Halle aus. Dieses Mal war es ein Kostümfest, das ausschließlich von Frauen besucht schien, bis im Verlauf der Nacht den als Frauen verkleideten Männern Bartstoppeln wuchsen.
Als der Schnee schmolz, gab es im Tal einige kleinere Überflutungen, vor allem in Silvios neuer Werkstatt. Alle Kästen und Dosen mit Schusternägeln und Stiften mußte er trocknen, ebenso sein Steinmetzwerkzeug. Am Morgen des Hochwassers saß Silvio auf einem großen Stein hinter seinem Haus, hielt den Kopf in den Händen und schluchzte, bebte wie ein Vögelchen mit
Weitere Kostenlose Bücher