Ein Herz bricht selten allein
ganz blöde Sauf tour war das gewesen. Und wer war schuld daran? Mama! Sie hatte sich am Telefon unmöglich benommen. Sie hatte ganz einfach wieder mal versagt, total versagt.
Mütter versagten immer in kritischen Momenten. Ihr hartes Schicksal und das harte, mit Schafwolle prallgestopfte Kopfkissen lösten Tränen des Selbstmitleids aus. Mama muß doch gespürt haben, wie mies es mir ist nach der Pleite mit dem Film! Und daß ich kein Geld habe. Und daß ich nicht weiß, wie es jetzt eigentlich weitergehen soll. Ich kann doch nicht einfach wieder heimfahren. Zu wem? Zu Bernhard, der mich womöglich nicht einmal mehr in die Wohnung läßt? Oder zu meiner Schwiegermutter?
Die Tränen flössen. Warum hatte Mama nicht gesagt: »Mach dir keine Sorgen, wenn es mit diesem Film nichts ist, so wird es eben mit dem nächsten klappen, und Jean ist ein besonders reizender Mann, du wirst sehr, sehr glücklich mit ihm werden. Und wegen Bernhardine laß dir nur keine grauen Haare wachsen. Ich nehme Bibi selbstverständlich zu mir, ich werde noch in dieser Woche hinfahren und ein ernstes Wort mit deiner Schwiegermutter sprechen. Außerdem richte ich dir ein kleines Bankkonto in Rom ein, mein Liebling.« So hätte eine ordentliche Mutter gesprochen.
Zweifel, ob Jean Moulin wirklich der Mann war, der Bettina mit sicherer Hand durch alle Klippen hindurchsteuern würde, waren längst in ihr wach geworden. Wie es sich herausstellte, war er in den letzten zehn Monaten immer nur an unsolide Unternehmen geraten. Er saß auf dem trockenen und schimpfte über die Gauner in der Filmbranche.
Zwar hatte er gestern abend vollstes Verständnis für Bettinas Kummer, ihren Appetit und ihren Durst gezeigt, aber er hatte auch, ohne mit der Wimper zu zucken, die dreißigtausend Lire, die sie beisteuerte, angenommen. Die Rechnung war etwas niedriger gewesen, und er hatte den Rest in die Tasche seiner nachtblauen Jacke gleiten lassen. Er war oft so verträumt. Und er küßte so zärtlich, so unbeholfen, so... So... Von ihrer Verliebtheit in Jean schwenkten Bettinas Gedanken zu ihrer kleinen Tochter. Ach, wie sehnte sie sich danach, daß Bibi ihre Ärmchen um ihren Hals legen und sie küssen würde. Sie hatte Grübchen in den fetten Ellenbogen und zog die Nase kraus vor Vergnügen, wenn sie Muttis Parfüm roch. Bettina wurde es immer elender zumute: Mutterliebe verbunden mit Torheiten, vier verschiedenen Getränken, Katzenjammer und einer totalen Pleite war eine schreckliche Sache.
Sie wankte zum Waschbecken, um sich den Kopf zu kühlen. Das Wasser tröpfelte in einem dünnen Rinnsal lau aus der Leitung. Gottlob war das Spiegelglas über dem Waschbecken blind. Auf diese Weise mußte Bettina sich nicht mit ihrem Gesicht auseinandersetzen, das ihr heute sicher ziemlich unsympathisch war. Als sie sich umwandte, um wieder in ihr Bett zu taumeln und erneut den Kampf mit ihrem Elend und der Matratze aufzunehmen, stand ein Mann hinter ihr.
Er war fast einen Kopf größer als Bettina, und er sah sie so ungeniert an, als gehöre sie zum Inventar dieses Zimmers. Er hatte die Rechte in der Hosentasche, und es war ganz klar, daß das eckige Ding, das sich dort abzeichnete, ein Revolver war.
Wenn der Mann erwartete, daß Bettina um Hilfe schreien oder gar vor ihm niedersinken und um Gnade winseln würde, hatte er sich getäuscht. Für alle diese Reaktionen fehlte ihr ganz einfach die Kraft, und außerdem schwamm ihr Kopf immer noch im luftleeren Raum.
»Gehen Sie weg hier«, sagte Bettina nur, und als er einen Schritt zur Seite trat, lief sie an ihm vorbei und kroch in ihr Bett. Sie zog die Decke bis unters Kinn und preßte die feuchten Arme, die sie noch nicht abgetrocknet hatte, gegen den Körper.
Der Mann stand immer noch am selben Platz. Er war ihr nur mit den Blicken gefolgt.
Sekunden vergingen. Dann zog er plötzlich die Hand aus der Tasche, und es stellte sich heraus, daß das rechteckige Ding eine Packung Zigaretten war. Meine Marke, dachte Bettina. Sie holte die rechte Hand unter der Decke hervor.
Der Mann nahm eine Zigarette aus der Packung und behielt sie zwischen den Fingern, ohne sie anzustecken.
Bettina fand jetzt den Mut, ihren Besucher, der zweifellos stumm oder nicht ganz richtig im Kopf oder beides zusammen war, genauer zu betrachten.
Er gefiel ihr. Und gleich wurde sie sich wütend ihrer unvorteilhaften Verfassung bewußt. Sicher hing die Wimperntusche in großen, dunklen Wischern unter ihren Augen, sie hatte ja vorhin
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