Ein Herz bricht selten allein
Schwindelgesellschaft«, sagte Bettina.
»So. Und das teilst du mir so nebenbei mit?«
»Gar nicht nebenbei. Einer von den Geldgebern ist abgesprungen, und nun ist ihnen die Puste ausgegangen. Aber ich bringe mich deshalb nicht um. Schließlich habe ich durch diese Sache Jean kennengelernt.«
Durch das verschmutzte Fenster der Kabine sah Anna, wie Don Vincenzo den Laden betrat und in den Zeitungen blätterte. Don Vincenzo war der Pfarrer, ein Mann mit einem aufmerksamen Panthergesicht.
»Warum sagst du denn nichts, Mama? Bist du noch da?«
»Ja, ich bin noch da.«
»Das ist natürlich eine dumme Sache mit dem geplatzten Film. Ich bin ziemlich blank. Ich hatte mit den vertraglich zugesicherten Tagegeldern gerechnet. Hallo? Bist du noch da?«
»Ja, sicher.«
»Ich möchte natürlich ungern meinen Mann — ich meine Bernhard — um Geld bitten. Das wirst du verstehen.«
»Untersteh dich!«
»Na ja, aber... Wir sind schon in eine ziemlich windige Pension übergesiedelt.«
»Wer >wir«
»Ich, meine ich. Jean wohnt bei einem Freund. Aber er besucht mich natürlich täglich, und wir gehen zusammen essen. Mama?«
Anna, den Hörer zwischen Ohr und Schulter geklemmt, steckte sich eine Zigarette an. »Bitte, frag mich nicht noch einmal, ob ich noch da bin. Ich bin noch da.«
»Wenn du einen solchen Ton anschlägst, dann können wir unser Gespräch ja gleich beenden«, sagte Bettina gekränkt.
Annas Herz begann bis zum Hals hinauf zu schlagen. Wenn Bettina nun einfach auflegte? Anna wußte nicht einmal ihre Adresse. Das arme Ding quälte sich in einer schäbigen Pension herum. Frühstückte sie auch ordentlich? Sie würde ihr ganzes Geld für Zigaretten und den Friseur ausgeben. Natürlich schlief sie nicht genügend. Schlief sie allein?
Anna wartete auf ein versöhnliches Wort. Am anderen Ende der Leitung wartete Bettina. Aber sie verlor nach wenigen Sekunden die Geduld.
»Es tut mir herzlich leid, daß ich dich ans Telefon gehetzt habe, Tschau.«
Anna lehnte sich gegen die Holzwand der Telefonzelle und rauchte ihre Zigarette, den Hörer immer noch fest ans Ohr gepreßt, als könne sie ihm noch irgendeine unerwartete Botschaft entlocken. Warum liebte man seine Kinder eigentlich? War das wirklich ein Naturgesetz? »Nein, ich liebe dich nicht. Und es ist mir auch ganz egal, ob du frühstückst und was du frühstückst. Ich habe es satt, mein Täubchen, gründlich satt, mich von dir schinden zu lassen.«
»Signora! Der Teilnehmer in Rom hat längst eingehängt«, kam es eindringlich zu Anna. Sie hatte ihren ganzen Ärger in den Telefonhörer hineingeredet.
»Danke. Ja, ich weiß«, erwiderte Anna, während sie ihre Zigarette auf dem Boden zertrat.
Aus, Schluß mit der Weichherzigkeit! Bettina war eine ganz unverschämte, selbstgefällige, egoistische Person, die vor dreiundzwanzig Jahren per Zufall mit ihr verwandt geworden war. Zum Glück hatte sie ja noch zwei andere Kinder.
Sie stürmte aus dem kleinen Laden, wo es nach Pappdeckel und Papiertüten und Plastik roch. »Signora! Ihr Telefongespräch! Sie haben vergessen zu bezahlen«, rief ihr die öffentliche Fernsprechdame nach.
»Ach, du lieber Himmel.« Anna kehrte wieder um, und während die Ladenbesitzerin an ihrem riesigen Leierkasten herumdrehte, um die Gebühren zu erfahren, blätterte Anna in einer Illustrierten.
>Spanien säubert seine Städte von Gammlern<, las sie. Ganz nette Leutchen, die hier abgebildet waren, mit ihren Piratenbärten und den wilden Jungensblicken, die der Welt den Kampf ansagten. Manche sahen zornig in die Kamera, manche grinsten. Unter denen, die grinsten, war... Aber nein, das konnte ja nicht möglich sein! Obwohl... Anna beugte sich tiefer über die Fotos. Poldis letzte Karte stammte aus Avignon, aber das war drei Wochen her. Nein, nein, das war nicht Poldi!
Anna beruhigte sich. Sie sah ganz einfach Gespenster. Es waren nur noch zwölf Tage bis zu ihrem Geburtstag, und dann würde Poldi kommen. Er hatte es fest versprochen, und sie hatte ihm sicherheitshalber das Reisegeld geschickt. Nach Avignon, postlagernd.
Bettina dehnte sich und rückte ihre Wirbelknochen zurecht. Die Drahtmatratze des breiten Bettes war so ausgebeult, als hätten auf ihr Generationen von Schwergewichtlern geschlafen. Bettina lag wie in einer Hängematte aus Eisendraht.
Bettinas Kopf fühlte sich an wie ein Ballon. Sie hielt ihn mit beiden Händen fest, um sicher zu sein, daß er an ihrem Hals blieb und nicht plötzlich zur Decke schwebte. Eine
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