Ein Herz bricht selten allein
anbieten. Er würde es mit außerordentlicher Heftigkeit ablehnen, dafür eine Bezahlung anzunehmen, aber ihr dann schließlich doch den Gefallen tun, das Geld in die Tasche seiner weiten, blauen Hose zu stecken.
Wie schaff ich mir das Grundstück nur wieder vom Hals, überlegte Anna. Der Teufel muß mich geritten haben. Ich kann mich nicht auf einen gemütlichen Lebensabend hier einrichten. Eine Mutter kann das nie. Ich muß Bettina zurechtbiegen, ihre Ehe wieder zurechtflicken und mich um meine Enkelin kümmern. Der Traum von dem kleinen Haus, wo sie dösen, Geschichten schreiben und Geranien auf den Treppen gießen könnte, zerrann. Anna ging ins Haus.
Jean Moulin lehnte an der Wand zwischen dem Gasherd und dem gemauerten Schrank. Er sah mit seinen Traumaugen zu Bettina hinüber. Anna fand, daß sich hinter seinem traumverlorenen Blick ein durchtriebener Ausdruck verbarg. Bettinas Lippenstift an seiner Schläfe und seiner Stirn war nicht zu übersehen.
»Wenn Sie oben in der Pension kein Zimmer bekommen, versuchen Sie es in Porto Azzurro oder in Portoferraio. Irgendwo werden Sie schon Unterkommen«, sagte sie.
»Jean muß doch erst was mit uns essen«, meinte Bettina. »Wollen wir uns nicht noch gemütlich zusammensetzen?«
»O nein, nein, danke, wirklich nicht. Ich komme morgen nach dem Frühstück.«
Ich habe ihm den Appetit verdorben, stellte Anna triumphierend fest.
»Wir haben nämlich unsere Oberfahrt schon gebucht für morgen mit dem letzten Schiff«, erklärte Bettina. Sie begleitete Jean zum Wagen, und das gab Anna Zeit, ihr mütterliches Selbstgefühl wieder aufzurichten.
»Also, nun paß gut auf, mein liebes Kind! Jetzt werde ich mal ein sehr, sehr ernstes Wort mit dir reden«, sie holte tief Atem.
Diesen Augenblick benützte Bettina, um ihr in die Parade zu fallen. »Gib dir keine Mühe, Mama, ich bin dreiundzwanzig, und ich weiß schon, was ich tue. Du hast mit dreiundzwanzig ja auch getan, was du wolltest, oder?«
»Ich war allein. Meine Mutter lebte nicht mehr.«
»Also gut. Stell dir vor, du wärst nicht mehr da. Dann müßte es ja auch gehen.«
»Faktisch bin ich aber noch da.« Anna warf eine Handvoll Salz ins Wasser.
»Bist du unlogisch, Mama! Du kannst es dir doch wenigstens vorstellen«, sagte Bettina. Sie packte ihren dunkelroten Lederkoffer aus. Das weiße Spitzennachthemd flog auf das zweite Drahtbett, wo Bettina schlafen würde.
Anna verlor die Nerven. »Noch bin ich am Leben, und du wirst dich damit abfinden müssen, daß ich sage, wie ich über dich denke«, schrie sie.
Bettina warf die Augen verzweifelt zum Himmel. »Mit dir kann man wirklich kein vernünftiges Wort mehr reden, Mama. Früher warst du doch ganz anders. Du solltest vielleicht mal einen guten Frauenarzt aufsuchen, der hilft dir über die schwierigen Jahre hinweg.«
Anna riß das Schneidbrett und ein Küchenmesser aus dem Schubfach. Sie grub die Zähne in die Lippen. Bettina, ihr kleines, süßes Mädchen von früher, lehnte sich gegen sie auf.
Plötzlich warf Bettina die Arme um ihren Hals. »Du weinst ja, Mamuschka, Liebste! Nicht weinen, bitte, bitte nicht weinen.«
»Ich schneide Zwiebeln.«
Bettina hatte noch immer die Arme um ihren Hals gelegt. »Bernhard ist so ein Ekel, glaub es mir. Er ist mürrisch und nörgelt den ganzen Tag an mir herum. Er tat immer so schrecklich moralisch und hat sich über meine zu kurzen Kleider und zu tiefen Ausschnitte aufgeregt. Und dann betrügt er mich mit meiner besten Freundin«, sagte sie unglücklich.
»Das ist ein Schlag, ich gebe es zu. Aber man rennt nicht einfach auseinander, wenn man ein Kind hat.«
»Jean ist so ganz anders. Ich bin zum erstenmal in meinem Leben verliebt. Und richtig glücklich.«
Anna spürte, daß ihr Herz zu schmelzen begann. Aber dieser unangebrachten Regung durfte sie nicht nachgeben. »Du kannst nicht einfach aus deiner Ehe ausbrechen. Verlang von mir nicht, daß ich meinen Segen dazu gebe!«
Das Abendessen verlief einsilbig, die Spaghetti waren versalzen.
Bettina fuhr am nächsten Tag nach Rom. »Ich schreibe dir sofort«, hatte sie versprochen. Anna wartete acht Tage, aber als auf der Post endlich ein Brief für sie lag, war er nicht von Bettina. Sie drehte ihn um. Der Absender >Anneliese Haller, Freising< war nicht vielversprechend.
»Liebe Anna! Wie Du vielleicht schon gehört hast, trennen sich Deine Tochter und mein Sohn. Ich war ja von Anfang an gegen diese Verbindung. Bettina hat nicht die Reife, die man von einer Trau
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