Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Herz bricht selten allein

Ein Herz bricht selten allein

Titel: Ein Herz bricht selten allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gitta von Cetto
Vom Netzwerk:
persönlichen Versagen.
    »Andere Kinder wachen um sechs Uhr auf. Jetzt ist es halb neun.« Bettina nahm Bibi hoch und trug sie ins Bad, um sie anzuziehen.
    Endlich waren Anna und Bernhard allein.

    »Bettina muß für einige Monate nach Davos. Sie hat Tbc«, erklärte Anna.
    »Wieso denn das?« Immer dachte sich Bettina solche extravaganten Sachen aus. Bernhard witterte eine Falle: »Wie kommst du denn auf die Idee?«
    »Ich nicht. Drei Ärzte sind auf die Idee gekommen.« Anna berichtete von den Konsultationen. »Es wird eine Kleinigkeit kosten. Wollen wir uns über die finanzielle Frage unterhalten?«
    »Sie ist ja in einer Kasse.«
    »Immer noch zum niedersten Tarif?«
    »Ich habe ihn nicht erhöht.«
    »Schade.«
    »Warum muß es denn gerade Davos sein? Es gibt ja auch andere Sanatorien, preiswertere.«
    Bisher hatten sie sich wie vernünftige Geschäftspartner unterhalten, aber jetzt fing Bernhard an zu feilschen. Anna packte die Wut. Als ob er ihre Gedanken gelesen hätte, begann sich Bernhard zu verteidigen: »Ich bin bestimmt nicht knickrig.«
    Anna sah ihrem Schwiegersohn, denn noch war er es ja, tief in die Augen und legte alle verfügbare Sanftheit in ihre Stimme. »Doch, du bist knickrig und warst es immer. Aber Streusand darüber. Du verdienst hübsche runde Summen, und du wirst in den sauren Apfel beißen müssen, für Bettinas Genesung zu zahlen. Ich werde auch mein Scherflein dazu beitragen, aber erhoffe dir nicht zuviel. Ich kann meine Kasse nicht ganz leeren, ich habe drei Kinder.«
    Drei Kinder! Und sie arbeiten ständig auf dem Seil. Alle Kinder, die sich vom Gängelband gelöst hatten, taten das, vollführten ihre halsbrecherischen Trapezkunststücke, lächelnde, sorglose, jugendliche Akrobatik, immer haarscharf vorbei am Absturz. O Gott, behüte sie vor einem falschen Schritt. Unten stand die Mutter, beobachtete gebannt jede Bewegung, hielt die Arme ausgebreitet, hielt das Netz ausgespannt, immer, immer, solange noch ein Atemzug in ihr war. Wer applaudierte ihr, wenn sie die Kunststückchen ihrer Brut zu einem glimpflichen Ende gebracht hatte?
    Bernhard sprach und sprach, ließ ein ausgedehntes Plädoyer zu seiner Verteidigung vom Stapel, aber Anna hörte gar nicht mehr hin. Bibi muß ‘raus aus dem Schlamassel. Sie hat sowieso schon zuviel mitgekriegt, dachte sie, während Bernhard mit einer geschickten Wendung von der Verteidigung zum Angriff übergegangen war.
    »Bettina hätte damals wegen der Lappalie mit Lisa nicht gleich Reißaus nehmen dürfen«, sagte er.

    Die Rückfahrt nach Berlin war ebensowenig ein Vergnügen wie die Hinfahrt nach München. Der Wagen schwamm durch Schnee und Matsch, und statt der inzwischen reparierten Heizung blieb jetzt der Scheibenwischer hängen. Annas Wagen war längst schrottplatzreif, aber sie hing an ihm, wie man an einem alten Gaul hängt, der einem ein halbes Leben lang brav gedient hatte. Er fraß bei ihr das Gnadenbrot. Leider fraß er auch ziemlich viel Benzin und Scheine für Reparaturen.
    Bibi, die neben Anna saß, wurde nach kurzer Fahrt wachsgelb und wechselte dann in Grün über. Nach einer Stunde war es dann soweit. Sie spie. Bettina hatte Anna darauf vorbereitet, daß Bibi allenfalls autokrank würde.
    Anna hielt an, säuberte die Kleine notdürftig mit Schnee und holte nach, was sie versäumt hatte, nämlich Bibi das Zäpfchen zu verpassen. Aber Bibi wehrte sich, sie brüllte, als gehe es ihr an den Kragen, und entglitt Anna immer wie ein Fisch.
    »Ich esse es, aber bitte nicht hinten ‘rein«, flehte sie.
    »Das kann man nicht essen.«
    »Doch! Ich schon.«
    »Nein, zum Donnerwetter! Den Platz, wo das hingehört, bestimme ich.«
    Es war selten genug, daß Anna ihre großmütterliche Autorität geltend machte, aber in diesem Fall mußte es sein. Ihr Griff wurde härter und unerbittlicher. Ein Mann in einem dicken Mercedes drohte ihr mit dem Finger im Vorbeifahren, weil sie auf der Autobahn anhielt. Natürlich, wenn Bibi spie und ein Zäpfchen verpaßt bekam, galt das nach der Straßenverkehrsordnung als Panne. Sie hätte das dreieckige Warnschild aufstellen müssen.
    Endlich war das Kind überwältigt, die Fahrt ging weiter, und das Zäpfchen begann zu wirken. Bibi wurde schläfrig. Anna ließ bei einer Tankstelle den Scheibenwischer in Ordnung bringen.
    Irgendwo zwischen den schwärzlichgrauen Wolken hatte die Sonne einen Durchschlupf gefunden. Sie schickte ein Bündel Strahlen auf die finstere, trübsinnige, mit ausscherenden

Weitere Kostenlose Bücher