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Ein Herz bricht selten allein

Ein Herz bricht selten allein

Titel: Ein Herz bricht selten allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gitta von Cetto
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es, die Zärtlichkeit, die aus Mamas Briefen sprach, mit so falscher Münze heimzuzahlen.
    Längst war sie von den Jordans weggezogen. Es hatte mit der puritanischen Mrs. Jordan Krach gegeben, als Lester das Haus bei Morgengrauen verließ. Auch konnte Franzi nie ihre sorglos lärmenden neuen Freunde bei sich bewirten, weil Jordans geräuschempfindlich waren.
    Franzi wohnte jetzt in einem Boardinghouse, wo man großzügiger war. »So reizend Jordans waren, aber ich habe es in dem eiskalten Zimmer einfach nicht mehr ausgehalten«, erklärte Franzi ihrer Mutter. Das war ein Schwindel mit einem Quentchen Wahrheit, denn das Zimmer in der Pension hatte Zentralheizung, und Franzi mußte sich nun nicht mehr mit dem deutschfeindlichen Kamin abrackern. Das Geld, das Anna monatlich schickte, schwand rasch dahin. Franzi verzehrte nur einen kleinen Teil davon, den größeren Teil schluckten die Getränke. Franzi konnte sich ja schließlich nicht lumpen lassen.
    »Wenn ich mein Studium anfange (es kommt nichts anderes für mich in Frage als Neuphilologie), werde ich den anderen um einige Pferdelängen voraus sein«, schrieb sie. Und Anna schrieb zurück: »Aber Du läßt Dich in Berlin immatrikulieren, mein Kleines. Darum bitte ich Dich. Wir waren fetzt lange genug getrennt.«
    Franzi ging der Briefwechsel mit zu Hause an die Nieren. Sie begriff, daß es zwischen ihr und Mama nie mehr so sein würde wie früher, weil das einmal gesponnene Lügennetz automatisch weitere Lügen nach sich zog. Aber wie hätte sie es anders machen sollen? Außerdem hatte sie ja jetzt ein gutes Gegenargument, denn solange Bibi bei Mama war, traf es sich ganz gut, daß Franzi nicht auch noch in der kleinen Wohnung herumwimmelte. Damit beruhigte Franzi ihr Gewissen.
    Es war eben ein Naturgesetz, daß Kinder ihre Eltern anlügen mußten.
    Die gute Seite an dieser Sache war, daß sich Franzis Verhältnis zu Lester eingependelt hatte. Sie war sein Mädchen. Sie wußte, daß er da und dort gelegentlich noch andere Mädchen hatte, aber sie lag ihm nicht mehr in den Ohren mit ihrer kindischen Eifersucht. Allmählich wurde sie gerieben in diesen Dingen. Sie wollte nicht verlieren. Man mußte mitmachen, oder man schied aus. Es kostete sie ein hartes Training, aber sie schaffte es. Franzi war stolz, so modern zu sein.
    Von Australien war nicht mehr die Rede. Lesters Chef hatte wahrscheinlich anders disponiert. Oder sollte gar Lester selbst die Sache abgeblasen haben? Um in London zu bleiben? Um sich nicht von Franzi trennen zu müssen? Er würde das natürlich nie zugeben, und sie würde ihn auch nie darauf ansprechen, aber die vage Vorstellung allein gab ihr genügend Auftrieb, um seine nicht seltenen Telefonanrufe »Hallo, Darling, sei nicht böse, aber heute wird es mit uns beiden nichts« zu schlucken. Sie ahnte nicht, daß sie noch ganz andere Dinge würde schlucken müssen.

    Bettina beneidete die kleine Schwester, die so sorglos in den Tag hineinlebte, gesund, vergnügt, ohne einen zermürbenden Ehe- und Scheidungskrieg und ohne die vielen kleinen, zunächst nur im Vergrößerungsspiegel sichtbaren Fältchen. Bettina kannte jedes einzelne. Ihr Leben bestand aus Liegen, in den Spiegel sehen, Fingernägel pflegen, Müsli mit viel Rahm essen, zu Kontrollaufnahmen in die Röntgenabteilung traben, auf dem Korridor herumstehen und warten, ob eine der Schwestern Zeit zu einem kleinen Klatsch hatte, dann wieder Liegen im Bett oder auf der geheizten Liegeterrasse, schmökern, dösen, zur Linken Frau Laastrek, zur Rechten Mary Croon, hinter sich das Krankenzimmer, vor sich frostglitzernde Tannen und goldweiße, am Abend blaubeschattete Berge, am Himmel bewegte sich ein winziger silberner Punkt und zog einen langen und länger werdenden Kondensstreifen hinter sich her. In dem Silberpünktchen saßen siebzig Passagiere oder fünfzig oder hundertfünfzig und jagten ihren Geschäften oder Abenteuern nach oder flogen gelangweilt in der Welt umher. Bettina starrte dem kleinen silbernen, in die Ferne eilenden Punkt sehnsüchtig nach. Sie war mutlos und niedergedrückt.
    »Sie dürfen sich nicht so in die Krankheit fallenlassen. Sie sind doch eine junge, hübsche Frau«, sagte der Arzt strafend zu Bettina.
    Da fragen Sie mal meinen Mann, wofür der mich hält, hätte sie antworten können.
    Wann hatte sie eigentlich zum letztenmal gelacht? Wie trostlos war das Leben. Sie sind doch eine junge hübsche Frau... Das Buch auf ihrem Schoß lag seit einer Stunde aufgeblättert da.

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