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Ein Herz bricht selten allein

Ein Herz bricht selten allein

Titel: Ein Herz bricht selten allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gitta von Cetto
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Poldi nahm die Geldscheine in seine Hand und wog sie. Er warf ihr
einen schrägen Blick zu.
    »Komm, spiel dich nicht auf,
besorg uns lieber bei Mama Zigaretten.«
    Poldi schlich sich auf
Zehenspitzen in Annas Zimmer. Er hielt die Kerze schief. Das heiße Wachs
tropfte ihm auf die Hand. »Verflucht!« Das Licht geisterte über das Gesicht
seiner Mutter, und er fand plötzlich, daß sie gar keine so uralte Frau war, wie
es sich eigentlich gehörte. Stellte sie womöglich noch Erwartungen an ihr
Leben? Erwartungen sehr persönlicher Art? Der Gedanke war ihm lästig, und er
schob ihn weit von sich. Anna hatte ihren >Hausaltar< neben dem Bett
aufgebaut, Bilder ihrer Kinder aus allen möglichen Perioden. Poldi entdeckte
sich mit kurzem Haarschnitt, abstehenden Ohren und einem starren Kamerablick.
    »Poldi!« Er stand da vor Anna
in Unterhosen mit lächerlich langen Beinen. Morgen würde sie ihm einen
Schlafanzug besorgen. Besaß er überhaupt eine Zahnbürste? »Ihr seid noch wach,
und ihr raucht die ganze Nacht durch.«
    »Ja, ja, ich weiß, wir bekommen
Lungenkrebs, und Bettina kriegt einen Haufen Falten im Gesicht, und unsere
Gefäße verengen sich. Und wer nicht raucht, kann von dem gesparten Geld in
hundert Jahren ein Haus bauen. Aber Hand aufs Herz: Hast du noch ein paar
Zigaretten für uns?«
    Anna tastete nach ihrer
Handtasche, die neben dem Bett stand. »Schlagt euch nicht die ganze Nacht um
die Ohren.«
    »Gönne uns doch den Spaß! Wir
sehen uns so selten. Bettina hat sich kolossal gemausert, findest du nicht? Sie
sieht umwerfend aus. Wenn ich ein Mann wäre, ich meine, wenn ich nicht ihr
Bruder wäre...« Er nestelte eine Zigarette aus der Packung und steckte sie an
der Kerze an.
    Poldi sah verwildert aus, der
Bart ließ ihn trotziger erscheinen, als er in Wirklichkeit war. So stand es
wahrscheinlich auf seinem Programm: Der Gesellschaft die Stirn bieten, anders
sein als andere, geladen sein auf alle, alles ablehnen, pauschal nein zu allem
sagen. Anna kratzte in Gedanken den Verputz ab, und da kam wieder der alte
Poldi zum Vorschein, Poldi mit fünfzehn, der Pirat hatte werden wollen, und der
mit sechzehn und siebzehn, der sich ernstlich überlegt hatte, in einen
tibetanischen Mönchsorden einzutreten, und dann der Neunzehnjährige, der durchs
Abitur gefallen war, und der Zwanzigjährige, der es schließlich mit Ach und
Krach geschafft hatte. Dann das erste Mädchen, das im Jazz-Klub herumerzählte,
wie ungeschickt er sich angestellt hatte, die zornige und von der Angst
diktierte Abkehr von den Frauen. »Mädchen sind Gänse, nur leider ohne Flügel,
sonst könnte man sie in die Luft jagen und abschießen.« Die ersten Pannen auf
dem Polytechnikum, und dann das leidenschaftliche, fast krankhafte Umschwenken
zur Literatur, die jähe Entdeckung Kafkas, Faulkners, Sartres.
    Poldi zögerte, ob er noch ein
paar freundliche Worte an seine Mutter richten sollte, die er immerhin aus dem
ersten Schlaf gerissen hatte. Schließlich meinte er in einem väterlichen Ton:
»Wie schön, daß unsere Bettina zu sich selbst gefunden hat.«
    Das genügte, um Anna hellwach
zu machen. »Was heißt zu sich selbst? Zunächst ist sie völlig kopflos von ihrem
Mann weggerannt.«
    »Von dem Döskopf wäre ich auch
weggerannt«, meinte Poldi trocken. »Ich habe ihn nie riechen können. Du?«
    »Also gute Nacht«, sagte Anna
und drehte sich auf die andere Seite. Es war das Privileg der Jugend, das
auszusprechen, was Mütter bei sich behalten mußten, und wenn sie auch daran
erstickten. »Macht nicht mehr zu lang. Morgen um halb neun kommt Nancy. Ich
habe ihr versprochen, mit ihr auf den Markt von Portoferraio zu fahren.«
    »Wer ist denn Nancy?«
    »Franks Tochter.«
    Er blieb an der Tür stehen. »Um
es von Anfang an klarzustellen: Glaube ja nicht, daß du mich für diese
amerikanische Zicke als Kavalier einspannen kannst. Ich lasse mich nämlich
nicht verbraten.« Er entschloß sich, ihr jovial zuzuwinken, ehe er mit ihren
Zigaretten verschwand.
    Anna blieb im Dunkeln. Wie gern
hätte sie sich zigarettenrauchend zu ihren abenteuerlustigen, verdrehten
Kindern gesellt, hätte sich heißgeredet, törichte Ansichten verfochten, die
Welt verachtet und sie gleichzeitig umarmt...
     
    Nancy erschien pünktlich mit
Franks weißem Mietwagen. Sie trug geranienrote Leinenhosen und dazu ein salopp
geschnittenes Hemd aus weißem Kaschmir. Sie hätte ein Junge sein können mit
ihrem kurzgeschnittenen, glatten Haar.
    Bettina und Poldi schliefen
noch

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