Ein Herz bricht selten allein
fest. Als Anna die Tür zu ihrem Zimmer öffnete, drang ihr der Geruch
zahlloser nächtlicher Zigaretten entgegen. Die Kippen lagen auf dem roten
Ziegelboden vor dem Platz, wo Poldi sich wie ein Tier auf seiner Decke
zusammengerollt hatte. Auch zwei Gläser standen dort auf dem Boden mit Resten
von Wein, in dem zahllose winzige Eintagsfliegen herumschwammen. Meine Kinder,
dachte Anna gerührt, und dann ironisch: Mein großartiges Werk, hier liegt es
vor mir ausgebreitet. Sie fing an, mechanisch Zigarettenstummel vom Boden
aufzuheben. Poldi knurrte im Schlaf. Dieses Knäuel von Mann, völlig in
Unordnung innerlich und äußerlich, ein verbissener und törichter Rebell gegen
alle Spielregeln der Vernunft, was tue ich bloß mit ihm? Und Bettina. Warum
lungern sie überhaupt hier herum? Nur weil sie hungrig sind? Weil sie ein Dach
überm Kopf und ein paar Kröten brauchen? Oder vielleicht doch... Nein, das
hehre Wort Kindesliebe wollte sie lieber aus dem Spiel lassen. Aber es ist doch
zum mindesten beruhigend für die beiden zu wissen, daß es mich irgendwo noch
gibt, daß man notfalls auf mich zurückgreifen kann, bei mir unterkriechen, sich
aufwärmen und eine Nase voll Stallgeruch für neue großartige Abenteuer
mitnehmen kann.
Am Fenster tauchte Nancys
Gesicht auf. Sie besah sich Bettina und Poldi, eine junge, wißbegierige
Amerikanerin, die auf eine Sehenswürdigkeit gestoßen war. »Ich komme gleich«,
bedeutete ihr Anna und kam sich töricht vor, wie sie so neben diesem riesigen,
unbekümmert schlafenden Lümmel mit ihrer Handvoll Kippen kniete. Sie nahm die
beiden Weingläser auf, trug sie ins andere Zimmer und kippte sie in den Ausguß.
Dann ging sie hinaus zu Nancy.
»Sie haben Besuch bekommen?«
fragte Nancy.
»Meine Tochter Bettina und mein
Sohn Poldi.« Es klang fast wie ein Schuldbekenntnis. »Sie sind gestern nacht
überraschend gekommen, alle beide. Sie haben sich zufällig auf dem letzten
Schiff getroffen.«
Nancy öffnete die Autotür für
Anna. »Ist Ihr Sohn Schauspieler?«
»Nein, warum?«
»Ich dachte, er braucht diese
Aufmachung vielleicht für irgendeine Rolle. Er würde gut nach Greenwich Village
passen. Kennen Sie Greenwich Village?«
»Ja, das Künstlerviertel von
New York. Amerikanische Boheme.«
»Dort lassen sich alle Männer,
die sich einbilden Künstler zu sein, einen Bart wachsen.«
»Poldi bildet sich nicht ein,
Künstler zu sein«, erwiderte Anna, Gereiztheit in der Stimme.
»Was tut er?« erkundigte sich
Nancy mit unverhüllter Neugier.
Anna verlor etwas den Boden
unter den Füßen. »Er hat vor einem Jahr das Studium gewechselt.«
»Was hat er studiert?«
»Technik.«
»Und jetzt?« bohrte Nancy
unbarmherzig.
Frank hatte ihr erzählt, daß
seine Tochter nüchtern, ehrgeizig und wissensdurstig sei. Sie war eine
besessene junge Journalistin. »Was studiert er jetzt?« fragte Nancy zum
zweitenmal.
»Ich weiß nicht, ob er noch mal
irgendein Studium aufnimmt. Er hat andere Ideen.«
»Kann er davon leben?«
Das Muttertier war in die Enge
getrieben und setzte sich fauchend zur Wehr. »Ich weiß nicht, was du unter
>leben< verstehst, Nancy. Wenn du ein zehn Meter langes Auto, jedes Jahr
einen neuen Kühlschrank und neuen Fernsehapparat und ein Haus mit einem
Swimming-pool meinst, dann vielleicht nicht.«
»Für mich besteht das Leben
zwar im wesentlichen aus anderen Dingen, dennoch ist ein Swimming-pool etwas
sehr Angenehmes, wenn eine Affenhitze herrscht«, erklärte Nancy trocken. »Wenn
man schon alle Nachteile unserer Zivilisation in Kauf nehmen muß — den Lärm in
der Luft und auf der Erde und überall den Benzingestank —, soll man wenigstens
auch von den Vorteilen was haben.«
»Ich fürchte, mein Sohn würde
sich in solch eine Schablone nicht pressen lassen.«
Eine kritische Falte zeigte
sich auf Nancys Stirn. Ärgerte sie sich über den roten Sportwagen, der sie beim
Überholen geschnitten hatte, oder über Annas Antwort?
»Was das Leben angenehm macht,
ist nicht unbedingt Schablone.«
Anna hatte keine Lust mehr zu
widersprechen. Auch Nancy schwieg eine Weile. Aber kurz bevor sie am Kai von
Portoferraio anhielt, sagte sie: »Er hat also keinen Job, wenn ich Sie recht
verstehe. Geben Sie ihm Geld?«
Nun wurde es Anna zuviel. »Ich
finde, das ist meine sehr persönliche Angelegenheit, Nancy.«
Nancy nahm diese Abfuhr sehr
gelassen hin. Sie schien es gewöhnt zu sein, mit manchen ihrer Fragen auf
Widerstand zu stoßen.
Auf dem Wochenmarkt schoben
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