Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit
Mutter war eine Straßendirne. Wie hieß sie denn?«
Sie lacht, obwohl daran nichts Lustiges ist. »Sie hieß Dery.«
LaPointes Gedächtnis kommt ins Rollen und holt die Zeit vor zwanzig Jahren herauf. Yo-Yo Dery, ein Typ von Hure, wie es ihn heute nicht mehr gibt. Laut, lebenslustig, ein Spaß für alle, die sie kannten, ging sie mit Fabrikarbeitern, die nicht viel Geld hatten, auch mal umsonst, wenn sie gute mees waren und sie sie nett fand. Sorglos und übermütig, erwarb sie sich den Ruf, ein Clown und eine Hexe zugleich zu sein, als sie mitten auf der Tanzfläche eines gesteckt vollen Amüsierlokals (dort, wo heute das Happy Hour Whisky à Go-Go ist) einen Streit mit einer anderen Hure beendete, die behauptet hatte, Yo-Yos rotes Haar sei gefärbt, indem sie den Rock hochhob, ihr Höschen fallen ließ und so bewies, daß ihr rotes Haar echt war.
»Sie erinnern sich an sie, nicht wahr?« sagt Mlle. Montjean, als sie bemerkt, daß er in der Vergangenheit liest.
»Ja. Ich erinnere mich.«
»Aber nicht an mich?«
Ja, jetzt dämmert es ihm. Yo-Yo hatte eine Tochter. Er sprach mit ihr ein-, zweimal in Yo-Yos Wohnung. Wenn ihm nach Lucilles Tod der Liebesdrang zu lästig wurde, ging er gelegentlich mit Straßenmädchen und zahlte auch, obwohl er als Bulle es hätte umsonst haben können. Im Laufe der Jahre schliefen er und Yo-Yo drei-, viermal miteinander. Ja, das stimmt. Yo-Yo hatte ein kleines Mädchen. Ein schüchternes kleines Mädchen.
Dann muß er daran denken, wie Yo-Yo starb. Sie nahm sich das Leben. Sie brachte die Kleine bei einer Nachbarin unter und nahm sich das Leben. Keiner auf der Main konnte es fassen. Yo-Yo Dery? Die immer lachte? Nein! Die bewies, daß sie rothaarig war? Selbstmord? Warum denn?
LaPointe brach die Wohnung auf. Stoffetzen in den Türspalt gestopft. Er mußte mit einer Bierflasche das Fenster einschlagen. Yo-Yo war seitwärts auf den Küchenboden gerutscht und lag mit der Backe auf einem Besen. Auf dem Tisch lagen Spielkarten ausgebreitet. Sie hatte das Gas angedreht und sich eine Patience gelegt.
Komisch, was für Einzelheiten ihm einfallen. Eine schwarze Königin lag auf einem schwarzen König. Sie hatte gemogelt.
Aber was wurde aus der Kleinen? Vage erinnert er sich, daß irgendeine Nachbarin sich des Kindes angenommen hatte, bis die Sozialfürsorge auftauchte.
»Wissen Sie noch, warum man sie Yo-Yo nannte?« fragt Mlle. Montjean fast träumerisch.
Er weiß es noch. Wie ein Yo-Yo, rauf und runter, rauf und runter. Mlle. Montjean dreht den Stengel ihres Tulpenglases zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her. »Sie ist immer gut zu mir gewesen, wissen Sie? Geschenke. Kleider. Jeden Sonntag gingen wir in den Park, wenn's nicht zu kalt war. Sie wollte wirklich gut zu mir sein.«
»Ja, so war sie.«
»Na klar. Die Hure mit dem guten Herzen. Geradezu der barmherzige Samariter. Irgendwie habe ich immer gewußt, womit sie ihr Geld verdiente, schon als ich erst vier oder fünf war. Das heißt … immer waren da Männer in der Wohnung, die Geld daließen. Was ich damals noch nicht wußte, war, daß das in anderen Familien nicht so war. Aber als ich dann in die Schule kam, haben mich die älteren Kinder sehr schnell aufgeklärt. Sie sangen immer: ›Rotkopf, Rotkopf‹ – ich höre immer noch diese zwei Töne, wie ein französischer Rettungswagen. Ich verstand nicht, warum sie das sangen, und warum sie dabei immer kicherten. Ich hatte immer braunes Haar. Ich wußte eben nichts von Yo-Yos legendärem Auftritt in dem Tanzlokal. Aber die andern Kinder wußten es alle.«
Um sich das anzuhören, ist LaPointe nicht hier. Er verzichtet auf die Belastung mit Problemen, die er nicht verursacht hat und die er nicht ändern kann. »Nun ja«, sagt er und umfaßt die teure Einrichtung mit einer ausgreifenden Geste, »daß muß ein langer Weg gewesen sein.«
Sie schaut ihn durch ihr schulterlanges, eingerolltes Haar von der Seite an. »Sie reden wie mein Analytiker«, sagt sie vorwurfsvoll.
»Wie der, den Sie ins Bett gezogen haben?«
»Wie der, den ich gebumst habe«, korrigiert sie. »Was ist? Warum schütteln Sie den Kopf?«
»Es ist jetzt offenbar Mode, die garstigsten Worte dafür zu gebrauchen. Ich habe vor kurzem ein Mädchen kennengelernt, die fand einen Ausdruck wie ›lieben‹ furchtbar komisch und wollte sich vor Lachen ausschütten.«
»Ich sage bumsen, weil ich bumsen meine. Das ist das mot juste. Wenn ich mit einem Mann zusammen bin, dann gehen wir nicht ›ins Bett‹,
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